Zuckerguss (German Edition)
sicher, zwei Stunden wird er sich von seiner Arbeit loseisen können, glaubst du nicht auch?«
»Aber David ist momentan wirklich sehr beschäftigt, ansonsten hättest du die Fotos von deiner Geburtstagsfeier doch längst!«, gebe ich zu bedenken, ein letzter aussichtsloser Versuch, die drohende Katastrophe abzuwenden.
»Kann es sein, dass du nicht willst, dass David zu uns zum Essen kommt?«
»Blödsinn!«, quieke ich mit hochrotem Kopf.
»Schön. Also morgen Abend um acht Uhr.« Meine Mutter nickt zufrieden und geht summend in die Küche.
Ich stehe da wie vom Donner gerührt.
Ich bin so bescheuert! Von allen guten Geistern verlassen, nicht zurechnungsfähig, komplett geistesgestört! Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich mich von meiner Mutter nach Strich und Faden habe austricksen lassen – anstatt endlich Klartext zu reden.
Nun habe ich den Salat.
Fassungslos vergrabe ich den Kopf zwischen meinen Knien. Wie soll ich aus dieser Nummer bloß wieder herauskommen?
Die realistische Antwort darauf wäre: gar nicht. Ich kenne meine Mutter, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann bringt niemand sie davon ab. Und ich befürchte, dass David bei dem ganzen Spielchen auch noch begeistert mitmacht. (Allmählich glaube ich wirklich, er übt für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule.)
Mit Grausen erinnere ich mich an eines unserer Gespräche zurück, als er sich quasi darum riss, meine Familie kennenzulernen. Damals konnte ich ein Abendessen in letzter Sekunde abwenden. Aber jetzt? Ich traue meiner Mutter glatt zu, dass sie David anruft und ihn persönlich einlädt. Verfluchter Mist!
Eine Woche in der Heimat, und ich stecke noch tiefer in der Scheiße als bei meiner Ankunft. Ich bin quasi die Titanic auf Kollisionskurs mit dem Eisberg. Die Katastrophe ist nicht mehr abzuwenden, ich kann nur noch den ungläubigen Zuschauer dieses Spektakels mimen. Es sei denn, die globale Erderwärmung setzt ein und schmilzt dieses eisige Hindernis.
Selbst wenn ich meinen Eltern die Angelegenheit mit David einigermaßen nachvollziehbar verklickern kann – ein Donnerwetter wird es geben, da mache ich mir keine Illusionen –, das halbwegs vermasselte Studium werden sie mir nicht ohne weiteres verzeihen.
Vor meinem inneren Auge sehe ich meinen Vater schon vor Wut schäumen, weil das Enfant terrible im Leben nichts auf die Reihe kriegt. Was haben wir bei ihr bloß falsch gemacht?, werden sich meine Eltern fragen. Irgendwie kann ich Mama und Papa ein klitzekleines bisschen verstehen. Mit fast dreißig sollte ich langsam wissen, was ich mit meiner beruflichen Zukunft anstellen will. Andere wissen es ja auch. Und vor allem sollte ich in dem Alter reif genug sein, um nicht auf Schnapsideen zu kommen, wie den Eltern einen beliebigen Typen als Freund zu verkaufen, nur um nicht als Loser zu gelten.
Frustriert lasse ich mich rückwärts in den Sand fallen und lausche dem Wellenschlag. Normalerweise beruhigt mich dieses Geräusch ungemein, aber heute will es nicht recht klappen.
Über mir leuchten die ersten Sterne, in der Ferne wird der saphirblaue Himmel vom Höhenfeuerwerk am Hafen erhellt. Eine kühle Brise weht vom Meer zum Strand herauf, während die Nacht mich wie eine Decke umhüllt.
Plötzlich beugt sich ein dunkler Schatten über mein Gesicht. Ein Schrei entweicht meiner Kehle. Entsetzt. Erschrocken.
Ängstlich richte ich mich auf und blicke geradewegs in Davids Augen. »Musst du mich so erschrecken, du Idiot?«
Er setzt sich neben mich. »Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst einjagen.«
Ich weiche Davids Blick aus und versuche die Tatsache zu ignorieren, dass er so dicht neben mir sitzt. An meinem geheimen Platz am Strand. Außer Olli war ich noch mit keinem Mann an diesem Ort. Neuland. Fremd. Unbekannt. Aber nicht unangenehm. Der Wind fährt durch die Äste der alten Weide, und ich bilde mir kurzzeitig ein, dass sie mir verschwörerisch zuzwinkert.
»Was machst du hier?« Meine Stimme klingt unsicher und spröde.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, sagt David und stupst gegen meine Schulter.
»Ich denke nach«, erwidere ich und rutsche ein Stück von David weg, um die nötige Distanz zwischen uns zu bringen. Die Moleküle in meinem Körper tanzen wild durcheinander. Allein seine bloße Anwesenheit bringt meinen Hormonhaushalt gehörig aus dem Gleichgewicht.
Er grinst. »Über mich?«
»Blödmann!«
»Ich schätze, das war ein Nein.« Er lacht. »Mein Ego leidet in deiner Gegenwart
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