Zuckerguss und Liebeslieder Roman
und ich hauche ihr Luftküsse zu. Das Wohnzimmer, das früher den typisch minimalistischen Look eines Londoner Pärchens hatte - weiße Sofas und Beistelltische aus indonesischem Hartholz -, ziert jetzt eine gelbblaue Plastikschaukel
und eine limonengrüne Babywippe, und da, wo einmal der Couchtisch stand, liegt nun eine mit Tiermotiven bedruckte Krabbeldecke.
Carolyn guckt vom Computer hoch. »Die schlechte Nachricht lautet, dass diesen Monat wegen der stürmischen Wetterbedingungen im März keine Passagierdampfer zwischen Europa und den USA verkehren. Die gute Nachricht ist, dass du möglicherweise auf einem Handelsschiff rüberkommst.« Sie wendet sich wieder dem Computer zu und liest vor, was myfreebeez.com , die Website für den preisbewussten Reisenden, dazu zu sagen hat.
Unerschrockene können das Großsegel hissen und sich ihre Schiffspassage als zeitweilige Matrosen - oder Matrosinnen - der Handelsmarine verdienen. Mitarbeitende Passagiere reisen mit Duldung des Kapitäns, wohnen zusammen mit der Crew und sind bei Aufgaben an oder unter Deck behilflich. Die Unterbringung erfolgt gewöhnlich in Einzelkabinen. Begeben Sie sich einige Tage vor Abfahrt zum Hafen und setzen Sie sich direkt mit dem Kapitän in Verbindung.
Carolyn räuspert sich. »Ich habe ein in Liberia registriertes Frachtschiff gefunden, das am 2. April von den Niederlanden ausläuft und zehn Tage später in Nova Scotia ist.«
»Hervorragend! Von da kann ich einen Zug nehmen.«
(Auf das Thema Autofahren komme ich noch zu einem späteren Zeitpunkt zurück und fasse hier lediglich meine aktuellen Möglichkeiten zusammen: Fahrten von weniger als fünfundzwanzig Meilen auf bereits bereisten Strecken.)
Carolyn steht auf und nimmt mir liebevoll Maisie ab, die angefangen hat zu greinen, vermutlich weil sie spürt, dass
sie sich in den schmerzenden Armen einer Amateurin befindet. »Alice«, gurrt Carolyn, »wie wär’s denn doch mit Fliegen?«
Ich schüttle den Kopf. Ich bin einmal mit einem kleinen Propellerflugzeug nach Jersey geflogen. Aber da war ich zehn und hatte noch vor nichts und niemandem Angst.
»Alice«, sagt Carolyn beharrlich. »Es hat seinen Grund, dass im März keine Passagierdampfer auf dem Atlantik verkehren.«
Ich nicke. »Ich weiß.« Vor meinem inneren Auge sehe ich bereits fünfzehn Meter hohe Wellen und Horden betrunkener liberianischer Matrosen.
Aber eigentlich ist die Sache die, dass mich schon jetzt Zweifel an dem Unternehmen beschleichen. Den ganzen Tag lang schießen mir sorgenvolle Gedanken durch den Kopf. Dad wird es grauenvoll finden, dass ich so weit weg bin. Stephen lernt in der Zeit, wo ich nicht da bin, womöglich eine andere kennen - was ich allerdings ehrlich gesagt für unwahrscheinlich halte. Brent hat sich nur sehr vage zu meinem Betätigungsfeld, meiner Entlohnung und der Frage, wo ich denn wohnen soll, geäußert. »Fürs Erste im Hotel natürlich«, hatte er mich grob abgefertigt, als ich nachmittags versuchte, mehr Einzelheiten aus ihm herauszukitzeln.
Ich sehe Carolyn zu, die Maisie so entspannt wie gekonnt im Arm hält. »Ich glaube, sie hat Blähungen«, sagt sie voll Überzeugung. Wohl aus Sorge, ich könnte eines Tages ebenfalls Mutter werden, streut Carolyn gelegentlich kleine Bemerkungen zum Umgang mit Babys in unsere Unterhaltungen ein. »Die Kleine schreit! Wann ist sie zuletzt gefüttert worden?«
Sie steht auf, durchmisst den Raum und säuselt: »Armes kleines Windbeutelchen.« Dann sieht sie mich an und runzelt
die Stirn. »Die nächste entscheidende Frage ist, ob man bei ihr schon mit fester Nahrung anfangen sollte.«
Ich hoffe, dass ich einen interessierten Eindruck mache, aber es ist kein gutes Zeichen, wenn Carolyn anfängt, über Ernährung zu reden. Ein Thema, über das sie sich, ich muss es leider sagen, bis zum Schwachsinn ereifern kann. Nehmen Sie einen kleinen Rat von mir an: Kommen Sie einer frischgebackenen Mutter aus Fulham niemals mit der gut gemeinten Idee, dass Muttermilch und Milchpulver letztlich doch ein und dasselbe sind.
Carolyn erzählt mir irgendwas von Bioreis für Babys und wie man Karottenbrei in Eiswürfelbehältern einfrieren kann. Ich versuche nach Kräften, bei der Sache zu bleiben, aber meine Gedanken schweifen ab zu meinem künftigen Leben in New York. Ein paar Stunden nur, und meine Tagträumereien von der Ostküste haben eine sehr viel düsterere Färbung angenommen. Der Schauplatz ist nunmehr irgendwo in der Bronx. Ich liege wach, höre Paare
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