Zuckerguss und Liebeslieder Roman
enormem Druck.«
»Das tut mir leid, ich habe es mir wirklich nicht so ausgesucht«, sage ich, bemüht, die Situation zu entschärfen.
Er sieht mit Bettelblick zu mir hoch. »Geh nicht, Alice. Es ist viel zu weit weg und für so lange Zeit.« Er hebt hoffnungsvoll die Hände. »Vielleicht vertragt ihr beide, du und Brent, euch ja mit der Zeit ganz prima.« Mein Gesichtsausdruck entgeht ihm nicht. »Und wenn nicht, gibt’s für jemanden wie dich doch noch haufenweise andere Jobs. Graham würde dir bestimmt ein fantastisches Zeugnis ausstellen.«
Ich schaue mich um, mein Blick fällt auf alles, was so sicher und vertraut wirkt: der Zierbecher aus dem Brontë-Museum, den wir von unserem ersten Wanderurlaub im Lake District mitgebracht haben; der Küchenabfalleimer aus Edelstahl, von uns gemeinsam auf der Website von Homebase ausgesucht; das Erinnerungsfoto von uns beiden auf dem London Eye (ein Riesendurchbruch, angesichts unserer wechselseitigen Höhenangst. Wir hielten Händchen und machten unsere Atemübungen, was eine Gruppe österreichischer Teenager zum Totlachen fand). Ich weiß, dass Stephen, wenn man ihm nur Zeit lässt, sich auch aufs Heiraten und Kinderkriegen einlassen wird - obwohl Gott allein weiß, wie ich ihn unbeschadet durch die Geburt bringen soll.
»Wir könnten doch einen Urlaub buchen«, sagt er und meint es offensichtlich ernst. »Wohin du willst.« Er holt tief Luft. »Und wir könnten die eiserne Reserve plündern, für eine neue Küche.«
Ich schaue ihn ungläubig an. »Echt?«
Er nickt entschieden. »Ober- und Unterschränke, Arbeitsflächen - und neue Fliesen.«
Ich zögere. Für Stephen, das weiß ich, ist das ein ähnlich großer Schritt wie ein Fallschirmsprung für einen Normalmenschen. Doch mir geht Carolyns Mahnung nicht aus dem Kopf - du hast es verdient.
»Aber so eine Chance bekomme ich nie wieder«, sage ich ruhig.
»Es sei denn, wir machen zusammen eine Reise nach New York«, sagt er eindringlich. »Nachdem wir die Küche renoviert haben.«
Die Spannung ist schier unerträglich.
Doch dann greift Stephen mit dramatischer Geste nach dem Katalog von Scotts of Stow, der auf dem Sofatisch liegt. Für einen Moment setzt mein Herzschlag aus. Abends blättere ich immer wieder mal gern darin und flüchte mich in eine Fantasiewelt aus Kücheninseln. Er nimmt ihn zur Hand und schlägt flugs Seite vier auf. »Wir könnten gleich loslegen«, sagt er gebieterisch. »Hier, der einhändig zu bedienende Küchenrollenspender. Gehen wir online und bestellen ihn.«
Er springt auf, ist voller Tatendurst. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll. Stephen hat noch nie etwas online bestellt - er und Dad sind immer auf der Hut vor Identitätsbetrügern. Schockiert sehe ich zu, wie er seine Geldbörse herausholt und ihr seine Kreditkarte entnimmt. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.« Doch halt, damit nicht genug. Er schlägt eine andere Seite auf. »Wenn wir schon dabei sind, bestellen wir doch auch gleich noch den schnurlosen Akkubesen.« Seine Stimme klingt leise und verführerisch. »Dann braucht man für ein paar Krümel nicht mehr den Staubsauger anzuwerfen, Alice.«
Stephen ist bereit, mir nicht nur ein, sondern gleich zwei Reinigungsprodukte zu kaufen; dazu noch die Aussicht auf
eine funkelnagelneue Küche und eine Reise nach New York.
Was hatte ich dem schon entgegenzusetzen? »Ist gut. Ich sage ihnen ab.«
6. KAPITEL
Ich will ehrlich sein. Nach diesem Gespräch mit Stephen wäre ich morgens vermutlich schnurstracks ins Büro gegangen und hätte meine Kündigung eingereicht, wenn Stephen nicht mitten beim Trinken seines entkoffeinierten Frühstückstees innegehalten und nach einem Blick auf die provenzalischen weißen Küchenfliesen die verhängnisvollen Worte geäußert hätte: »Vielleicht reicht es ja auch, wenn wir sie frisch verfugen.«
»Was?«
Sein Blick signalisiert, dass er die Dinge rein vernunftmäßig betrachtet. »Wozu ohne Sinn und Zweck Geld ausgeben, Alice?«
»Du hast gesagt, wir könnten die Fliesen neu machen.«
»Damit meinte ich natürlich unter Berücksichtigung der Etatbeschränkungen.«
»Herrgott noch mal, Stephen. Wir geben doch kein Kriegsschiff in Auftrag, wir bestellen bloß eine Küche.«
»Meiner Meinung nach gelten dafür die gleichen Prinzipien. Sehen wir doch mal, wie es uns geht, wenn die Bestellung von Scotts of Stow da ist.«
Er sieht auf seine Armbanduhr, murmelt »Ich bin spät dran« und greift nach seinem Fahrradhelm. Dagegen
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