Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Nachmittags haben Stephen und ich traut beisammengesessen und Posten um Posten auf meiner Packliste abgehakt. Valerie hat mir
ihren aquamarinblauen Samsonite-Rollkoffer und die passende Umhängetasche dazu geliehen; damit sieht mir niemand mehr den Reiseneuling an.
Stephen räuspert sich. »Der Flug geht um sieben Uhr fünfzehn morgens. Unter Berücksichtigung der Auflage, sich mindestens drei Stunden vor Beginn des Check-ins am Flughafen einzufinden, und der Möglichkeit einer Kraftfahrzeugpanne sowie nächtlicher Wartungs- oder Ausbesserungsarbeiten auf der Autobahn sind wir unserer Auffassung nach gut beraten, wenn wir von hier direkt zum Flughafen fahren.«
»Solltet ihr dann nicht mal langsam los?«, fragt Teresa, nun wieder munter, und tippt auf ihre Armbanduhr. »Sonst könnte es ganz schön knapp werden.«
Ehrlich, ich weiß nicht, wieso Teresa unbedingt herkommen musste. Wenn sie und Valerie sich im selben Raum aufhalten und Dad verkrampft lächelnd den Blick von einer zur anderen wandern lässt, liegt immer Spannung in der Luft. Valerie arbeitet als Schulsekretärin, und Dad hat sie im Schwimmbecken des Freizeitzentrums von New Malden kennengelernt. Monatelang haben sie nebeneinander ihre Bahnen gezogen, bis Dad sich zu mehr als einem morgendlichen Nicken aufgeschwungen hat, und dann dauerte es noch mal sechs Wochen, bis sie das erste Mal einen Kaffee trinken gingen. Dass sie zusammenziehen wollten, durfte - auf Geheiß von Dad - ich Teresa beibringen.
Teresa denkt, Dad hätte Mum vergessen. Aber das stimmt nicht; die Einsamkeit wurde nur zu viel für ihn.
Teresa war dreizehn, als Mum starb, und sie sagt immer, aufgrund ihrer sensiblen Persönlichkeit hätte es sie am härtesten getroffen. Ich war achtzehn und hatte das Gefühl, es wäre nicht das Richtige, jetzt gleich irgendwohin an die
Uni zu gehen. Darum beschloss ich, ein Jahr zu überbrücken, und nahm einen zeitlich befristeten Aushilfsjob als Sekretärin bei der Gemeindeverwaltung von Kingston an. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Manchmal überlege ich mir, ob ich nicht doch noch einen Hochschulabschluss machen soll, aber wie Stephen immer sagt: Würde sich der doch recht beträchtliche Zeit- und Kostenaufwand in meinem Alter überhaupt noch lohnen?
Teresa und ich sind in dem Alter, von dem Frauenzeitschriften behaupten, es bringe Schwestern enger zusammen. Sagen wir mal, die Anzeichen dafür lassen vorerst auf sich warten. Falls überhaupt, wurde unser Verhältnis noch schlimmer, als ich den Job bei Carmichael Music an Land zog. (»Die sind da doch sicher alle supercool, Alice. Passt du da rein?«) Teresa stellt sich gern als das kreative Genie der Familie hin, weil sie Mitglied in einem Buchklub ist und ihre Küchenwände mit Trauben im Schablonenmuster bemalt hat. Aber in Wahrheit sind wir uns ziemlich ähnlich. Wir schrubben beide den Küchenfußboden auf Händen und Knien und fangen im August damit an, unsere Einkaufslisten für Weihnachten abzuhaken. Teresas Zwillinge sind immer identisch gekleidet und dürfen nur abwaschbare Filzstifte verwenden. Im Augenblick sind sie in der Küche eingesperrt, damit sie kein Chaos veranstalten können.
Bob nutzt das ungemütliche Schweigen, um uns über die Fortschritte seiner romantischen Mittelalterkomödie zu unterrichten. »In diesem Genre stellen sich dem Liebespaar stets eine Reihe von Hindernissen entgegen. In meinem Roman ist das erste Problem der Zehnte.«
»Klingt nach einem Buch für dich, Stephen«, feixt Teresa, und Dad, die treulose Tomate, lacht.
»Solange unser Held dem Gutsherrn nicht die geforderten zehn Prozent von seinen mageren Einkünften bezahlen kann, bekommt er keine Heiratserlaubnis, versteht ihr?«
Ich gehe zum Gegenangriff über. »Wie steht’s denn mit dem Haus, Teresa? Was machen eure Anbaupläne?« Der Anbau war eine Zeitlang das große Thema, aber in letzter Zeit hat Teresa nichts mehr davon verlauten lassen.
Sie schlägt unverzüglich zurück. »Nachdem Richard kürzlich befördert worden ist, suchen wir uns vielleicht einfach etwas viel Größeres. Er sorgt so treu für uns - das ist so wichtig bei einem Ehemann , Alice.«
»Wie kommt er denn mit seiner Frau Chefin zurecht?«, fragt Dad kopfschüttelnd. Mit der Vorstellung von Frauen in Führungspositionen tut er sich immer noch schwer - außer natürlich, es handelt sich um mich.
»Er hat von Sandra eine sehr positive Beurteilung bekommen«, sagt Teresa. »Es würde mich nicht wundern, wenn
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