Zuckerguss und Liebeslieder Roman
denke an Stephens und meine in unserem IKEA-Ständer alphabetisch geordnete CD-Sammlung, in der vor allem James Blunt, Coldplay, Enya und David Gray gut vertreten sind. Bei Musik mit zu vielen Bässen bekommt Stephen Migräne.
»Ich bin heute Abend unterwegs«, sagt Wyatt. »Soll ich Rachel fragen, ob sie Ihnen Gesellschaft leisten möchte?«
»Ich bin hundemüde«, gebe ich ehrlich zu. »Ich glaube, ich habe noch ein bisschen mit der Zeitumstellung zu kämpfen.«
Ob Wyatt sich wohl mit Heidi trifft, der Blondine aus dem Diner?
»Die Nebenstraßen werden vermutlich geräumt sein«, verkündet er weiter. »Die Streufahrzeuge und die Schneepflüge sind die ganze Nacht hindurch im Einsatz.« Er zögert kurz. »Laut Wetterbericht ist südlich von hier mit weiteren Schneefällen zu rechnen. Kann sein, dass es auf der Interstate zum Flughafen länger dauert.«
Er geht zur Tür. »Ich stelle Ihnen eine Kiste Lebensmittel vor die Tür.«
Großer Gott, er klang, wie soll ich sagen, andeutungsweise freundlich.
Und dann ist er weg und lässt mich ungestört sinnieren, wie lange genau ich wohl noch in diesem Kuhkaff am Ende der Welt festsitzen werde.
16. KAPITEL
Ich arbeite mich durch die Küche, schrubbe das Bad blitzblank und mache es mir anschließend mit meinem rosengemusterten Flanellpyjama von British Home Stores vor dem Kamin gemütlich. Dank Wyatts Carepaket kann ich mich an einem köstlichen Abendessen gütlich tun: Hackbraten, Bratkartoffeln, grüne Bohnen und ein Stück Kirschkuchen. Da kocht wohl jemand für ihn - Heidi? Außerdem schlürfe ich noch genüsslich eine Tasse Kaffee von Boston Stoker, offenbar eine teure Marke, weil vorn auf der Packpapierverpackung »Mischung aus Costa Rica« aufgedruckt ist.
Dann setze ich mich an meinen Laptop. Stephen gibt sich wirklich große Mühe - in seiner letzten E-Mail findet sich ein Link zu einer Website, mit deren Hilfe man sich seine Küche selbst entwerfen kann -, aber ich bin immer noch nicht in der Stimmung zu antworten. Stattdessen liefere ich Dad eine leicht modifizierte Version der Ereignisse; ihr zufolge habe ich mich bei Wyatt einquartiert und unterhalte mich mit ihm ausführlich über seine musikalische Zukunft. So ziemlich die gleiche Story schreibe ich auch Jennifer von der Mittwochabendgruppe, die mir per E-Mail unter ihrer neuen Adresse - jennitsanewstart@freewhizz. net - viel Glück gewünscht und im PS gefragt hat, ob ich ihr einen guten Anwalt nennen könnte.
Dazu höre ich mir am laufenden Band Countrymusik an, in der es abwechselnd um Liebe, Lügen, Betrügen oder Sterben geht. Jemand namens Toby Keith bringt fast ein gesamtes Album lang auf einem Barhocker zu, nachdem die Frauen ihm reihenweise untreu waren, die meisten anderen Sänger hingegen vertrauen in Krisenzeiten lieber darauf, dass Mama
für sie betet. Doch sosehr ich auch versuche, mich ein wenig erhaben über das zu fühlen, was sie hier »Country« nennen, die rauen Emotionen in der Musik erwischen mich mitunter doch. »Losing You«, den Song von Wyatt, der in den Neunzigern auf einem Sammelalbum erschienen ist, muss ich mittendrin abstellen, weil er mich zu sehr an Mum erinnert.
Taking the time to think of you
Turning away from the day
Taking a walk down that steep old path
Letting the memories play.
If losing you was hard
Living like this is breaking me.
Wen hat Wyatt wohl so sehr geliebt, dass er das geschrieben hat?
Um halb zehn holt der Jetlag mich ein, und ich gehe nach oben ins Bett. Der wunderschön geschnitzte Kleiderschrank aus Mahagoni und die dazu passende Kommode erstrahlen dank meiner Anstrengungen in neuem Glanz, und das Bett ist frisch bezogen. Um zehn schaue ich noch einmal auf die Uhr, dann weiß ich von nichts mehr.
Um fünf bin ich glockenwach. Es bleibt nichts übrig, als aufzustehen, mir eine Tasse von Wyatts Kaffee zu machen und den Fernseher anzuschalten, um den Wetterbericht abzupassen. Zu meinem Schrecken sehe ich, dass für Barnsley und Umgegend eine Unwetterwarnung herausgegeben wurde. Die Autobahn ist weiterhin gesperrt, und die Bewohner des betroffenen Gebiets werden aufgefordert, bei den Nachbarn nach dem Rechten zu sehen. Man stelle sich vor, so was würde in England passieren - die Hälfte von uns würde seinen Nachbarn für einen Einbrecher halten.
Wenigstens komme ich so dazu, mir den Kühlschrank vorzunehmen - die Abdichtungen sind in einem grauenvollen Zustand - und das Gefrierfach abzutauen, das ein einziger Eisberg ist. Um zehn
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