Zuckerguss und Liebeslieder Roman
ungefähr vierzig. Unter dem Arm trägt er einen Stapel Bücher.
»Hey, Bruce!« Wyatt schaut hoch. »Das ist Alice, von Carmichael Music aus London.«
Bruce sieht mich mit leicht gekräuselten Lippen misstrauisch an.
»Alice, das ist Bruce, mein Sponsor.«
Donnerwetter! Jetzt kenne ich einen echten Alkoholiker und einen echten Sponsor. Die Broschüre verbreitet sich sehr ausführlich über Sponsoren. Ein Sponsor ist ein Alkoholiker, der es geschafft hat, trocken zu bleiben. Er nimmt einen neuen Alkoholiker unter seine Fittiche, begleitet ihn
zu AA-Treffen und bewegt ihn dazu, viele Bücher zu dem Thema zu lesen.
»Wir sollten uns an die Arbeit machen, Wyatt«, sagt Bruce streng.
»Ja«, sagt Wyatt, in Gedanken eher bei dem Feuer, das soeben erlischt. »Ich brauche mehr Streichhölzer. Ich hole welche aus dem Haus.« Ganz offensichtlich lässt sich Wyatt von niemandem herumkommandieren; flüchtig zeigt sich mir etwas von seiner rebellischen Seite, die ihn in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gebracht hat.
Als Wyatt weg ist, legt Bruce die Bücher auf den Couchtisch aus Eichenholz und tritt einen Schritt auf mich zu. »Ich hoffe, Sie werden Wyatt nicht aus dem Gleis bringen.«
Ich stelle mir vor, wie Wyatt, die Tenderlokomotive, umkippt.
Bruce zeigt auf die Bücher. Das oberste trägt den Titel »Schritt für Schritt - wie man ein Leben lang nüchtern bleibt«. Nicht direkt ein Reißer vermutlich. »Wyatt hat zur Bewältigung seiner Probleme noch eine Menge Arbeit vor sich«, sagt Bruce spitz. »Ich will nicht, dass Ihre Leute ihm Druck machen, wieder etwas aufzunehmen, und ihn damit ablenken.«
»Nein«, sage ich und schüttle energisch den Kopf. »Glauben Sie mir«, setze ich, sehr gedehnt, zur Betonung hinzu. »Ich bin auf Ihrer Seite.«
Ich beschließe, etwas aus der Broschüre zu zitieren, um Bruce von meiner Ernsthaftigkeit zu überzeugen. »Nüchtern zu bleiben, ist das A und O im Leben des genesenden Alkoholikers - es gilt, immer nur für den heutigen Tag den Alkohol stehen zu lassen.«
Tatsächlich, Bruce wirkt beeindruckt. »Sie kennen unser AA-Motto?«
»Allerdings«, erwidere ich selbstbewusst.
»Ich verstehe.« Bruce reibt über seinen Spitzbart. »Dann hat Carmichael vermutlich deswegen Sie geschickt - jemanden, der wirklich Verständnis aufbringt.«
»Carmichael hat sich genau überlegt, welche Person am besten für diesen Job geeignet ist.«
Das scheint Bruce zu imponieren. »Die Arbeitgeber stellen sich ja doch häufig quer, wenn es um Auszeiten geht.«
»Mein alter Chef war diesbezüglich immer sehr nett.« Von Zeit zu Zeit muss ich Dr. Vaizey zu Notfallsitzungen aufsuchen. Das letzte Mal war ich bei ihm, als wir umgezogen sind - eine überaus stressige Zeit. Stephen bekam Nesselausschlag, und als Tüpfelchen auf dem i stürzte mein Computer ab, und meine Kiste für Kiste erstellte Packliste war nicht mehr auffindbar. Eine Katastrophe.
»Sie gehören also auch einer Gruppe an?«, fragt Bruce, nunmehr eine Spur freundlicher.
»O ja. Ich gehe dorthin, seit ich das ambulante Programm abgeschlossen habe. Wir treffen uns immer mittwochs.«
Bruce nickt beifällig. »Gut, gut. Eine Gruppe am Ort ist immens wichtig. Im Augenblick versuche ich, Wyatt zu so vielen Treffen wie möglich zu bewegen. Wir gehen jeden Tag zu einem anderen, im ganzen Bezirk.«
Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
»Ich würde Sie ja gern dazu einladen, aber das heutige Treffen ist nur für Männer.«
Manche AA-Treffen sind vertraulich und nur echten Alkoholikern vorbehalten, andere hingegen stehen auch Besuchern offen.
»Vielleicht ein andermal«, sage ich fröhlich.
Bruce schüttelt mir die Hand. »Kaum zu fassen - da kommen Sie den weiten Weg von England hierher, und wir
finden uns zu diesem Gespräch zusammen. Das ist das Wunder der Nüchternheit. Ein perfektes Beispiel für das, was ich Wyatt immer sage - nichts geschieht ohne Grund.«
Wir werden von Wyatt unterbrochen, der mit den Streichhölzern zurückkommt.
Bruce sieht jetzt sehr viel glücklicher aus. »Alice und ich hatten gerade eine höchst interessante Unterhaltung. Wie sich herausstellte, war sie als Erstes in einem ambulanten Programm.«
Wyatt sieht mich überrascht an. »Tatsächlich?«
Ich nicke.
»Da zeigt es sich wieder, Wyatt«, sagt Bruce. » Nichts geschieht ohne Grund.«
17. KAPITEL
Tag zwei in Wyatts Cottage, vier Uhr morgens. Ich bin hellwach. Nicht wegen des Jetlags, sondern weil das Telefon klingelt. Es ist
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