Zuckerguss und Liebeslieder Roman
verschwindet zur Tür hinaus, vermutlich auf Nimmerwiedersehen. Für den Rest meines kurzen Aufenthalts hier wird er mir tunlichst aus dem Weg gehen. Mit ein bisschen Glück kann ich mich morgen früh unauffällig verdrücken.
Als ich mit den Fenstern fertig bin, fühle ich mich schon halbwegs entspannt. Ich werde mich hier ganz gemütlich mit meinem BlackBerry verkriechen. Dad hat schon in ein paar E-Mails angefragt, »wie es sich jenseits vom großen Teich denn so anlässt«. Weniger erfreulich ist, dass auf meine E-Mail an das New Yorker Hauptquartier von Carmichael Music, in der ich von meiner Bredouille in Barnsley berichtet habe, Folgendes zurückkam: »Dies ist eine automatisch generierte E-Mail. Bitte antworten Sie nicht auf diese Nachricht, da die Antworten nicht weitergeleitet werden. Für Rückfragen dürfen wir Sie auf die Rubrik FAQ unserer Website verweisen.« Ich werde Brent kontaktieren und ihn fragen müssen, wieso um Himmels willen die E-Mail-Adresse, die er mir gegeben hat, nicht funktioniert.
Zehn Minuten später ist Wyatt wieder zur Stelle, mit einem großen Korb Feuerholz.
»Sie brauchen ein Kaminfeuer hier drin«, sagt er kurz
angebunden. »So heizt es sich schneller auf.« Er macht sich kundig ans Werk und schichtet die großen Scheite über dem Bruchholz zum Anfeuern. Unterdessen steige ich auf einen Stuhl und fege die ekligen Spinnweben von der Decke. Wir arbeiten schweigend Seite an Seite, aber die Stille macht mir nichts aus, weil ich voll zufrieden mit meiner Tätigkeit bin.
Ich wechsle in die Küche und bringe das Desinfektionsspray zum Einsatz. Zum Glück wird das Wasser endlich warm.
Nach ein paar Minuten höre ich Wyatt fluchen. »Mistfeuer. Das Holz ist feucht.«
»Können Sie es denn trotzdem in Gang bringen?«, frage ich höflichkeitshalber.
»Klar«, kommt es etwas pikiert zurück. Völlig verständlich. Wer in der Gegend hier kein Feuer entzünden kann, gilt nicht als echter Mann. Wahrscheinlich kann er auch noch mit links eine Viehherde zusammentreiben und einen Baum fällen.
Ich poliere auf allen vieren die Beine der Küchenstühle und begutachte den Boden, als Wyatt sich erneut vernehmen lässt. »So. Jetzt brennt es.«
Unhöflich, nicht hinzugehen und sich das anzuschauen.
Ein ausnehmend schönes Kaminfeuer. Die dicken Scheite haben sich eben entzündet und verströmen den gleichen Duft von Apfelholz wie in Wyatts Wohnhaus. Der Wind pfeift rings um das Cottage, aber mir ist warm und wohlig und - dank meines gigantischen Frühstücks und der Großputzaktion - auch ein bisschen schläfrig zumute. Allmählich verstehe ich, warum manche Menschen sich dafür entscheiden, hier und nicht in irgendeinem piekfeinen Apartment in New York zu leben.
In der Ferne lässt sich eine Kuh vernehmen.
»Das macht sie immer, wenn Casey sie striegelt«, sagt Wyatt und verschiebt ein Holzscheit um einen Zentimeter.
»Er striegelt die Kuh?«
»Genau. Und fettet ihre Hufe ein und nimmt sich jeden Tag Zeit für sie.«
»Fehlt ihr denn die restliche Herde gar nicht?«
»Sie hat ja noch Billy.«
»Billy?«
»Den Ziegenbock«, sagt er, als verstünde sich das von selbst. »Caseys Großvater musste die restliche Herde verkaufen. Eine reichlich traurige Geschichte. Caseys Eltern sind vor ein paar Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seitdem geht es mit der Farm bergab. Sein Großvater gibt sich alle Mühe, aber er kann sie allein nicht halten.«
Wyatt verliert kein Wort darüber, dass er Mary Lou in Pflege genommen hat. Ich gebe zu, das gefällt mir an ihm. Stephen und ich tun rein gar nichts für unsere Nachbarn. Von den meisten wissen wir nicht mal, wie sie heißen.
Das Feuer lodert jetzt kräftig, und Wyatt kommt von den Knien hoch. Einen Moment lang herrscht unbehagliches Schweigen. Ich verstehe schon, was ihm Bauchgrimmen bereitet: Er beherbergt eine Frau, die ihm abwechselnd bittere Kränkungen an den Kopf wirft oder sich wie eine Irre aufführt und offensichtlich an irgendeiner Zwangsstörung leidet.
Er hüstelt. »Ich zeige Ihnen noch kurz, wie alles funktioniert. Es gibt WLAN hier.« Dann erklärt er mir die Fernbedienung für den Fernseher und die Stereoanlage (von Bose), neben der ein Riesenstapel CDs liegt. Der ebenfalls abgestaubt gehört, aber der Swiffer wird damit kurzen Prozess machen. Ich schaue den Haufen kurz durch: Bob Marley,
Jimi Hendrix, Stevie Nicks, BB King und - meiner Vermutung nach, die Namen sagen mir alle nichts - jede Menge Country-Stars. Ich
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