Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Apfelstreuselkuchen, den Rachel, neben meinem Abendessen für heute - ein komplettes Brathähnchen,
vier verschiedene Gemüsesorten und eine Pekannusstarte - mitgebracht hat.
Rachel strahlt mich an. »Ich möchte Sie gern zu der Müttergruppe von Barnsley mitnehmen. Die wären bestimmt alle begeistert von Ihnen! Wir treffen uns immer montags.«
»Ich schätze, bis dahin bin ich wohl nicht mehr da.«
Rachel klingt enttäuscht. »Aber ich habe doch schon allen von Ihnen erzählt.«
Ich versuche ihr möglichst sacht den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Die Babyflüsterin von Southfields bin ich nur stundenweise. Die Babys im Südwesten von London sind normalerweise sehr unkompliziert«, füge ich leichthin an. »Tagsüber arbeite ich für Carmichael Music. Deshalb bin ich auch eigentlich hier, um Wyatts Vertrag einer Revision zu unterziehen.«
»O Mann«, sagt Rachel. »Ist das aufregend. Wir dachten alle, seine Plattenfirma hätte ihn völlig vergessen.«
Graham nicht, niemals. »Nein, absolut nicht. An einer Wand in meinem Büro hängt sogar ein Poster von ihm.«
Rachel quietscht vor Begeisterung. »Glauben Sie, Sie können ihn überreden?«
»Ich glaube, er muss es selbst wollen«, sage ich.
Dann betet sie mir die ganze Litanei über Wyatts musikalische Kindheit herunter. Er hat jeden Sonntag in der Kirche Klavier gespielt. Ich beschwöre ein Bild von Wyatts Mutter herauf - schwarzes Wollkleid und weiße Haube -, wie sie Wyatt jedes Mal, wenn er sich auf dem Klavier verspielt, mit dem Lineal eins auf die Finger gibt. Letztendlich bleibt Rachel den ganzen Vormittag, weil Baby Dale in seinem Sportwagen eingeschlafen ist und wir Angst haben, dass er aufwacht, wenn er vom Fleck wegbewegt wird. Wir tauschen Vertraulichkeiten aus - wie sehr ich meine Haare
hasse und wie sehr Rachel Heidi verabscheut. Beim allerletzten Cheerleader-Auftritt in der Highschool war Rachel gestürzt, weil Heidi sie rein zufällig (ha, ha) nicht richtig zu fassen gekriegt hatte. Rachel lässt sich nicht davon abbringen, etwas mit meinem Haar anzustellen; sie feuchtet es an und zieht es beim Trocknen dann Strähne für Strähne penibel glatt. »Sie müssen bloß jede Partie einzeln föhnen und glätten, Alice«, erläutert sie. »Dann bekommt es Fülle, ohne sich zu kräuseln.«
Aha, und wieso hat Teresa mir das nie gesagt?
Nach Rachel kommt Casey, verputzt den restlichen Apfelstreuselkuchen plus ein Riesenstück von der Pekannusstarte und schleppt mich dann hinaus zu den Pferden - Rascal und Flatts - und schließlich zu Mary Lou: eine hübsche Kuh mit großen, verträumten Augen. Casey weist mich auf ihre schön geschwungenen Rippen und ihr imposantes Euter hin. »Deswegen ist sie ein Champion. Und wegen ihrer Starqualitäten«, sagt er gewichtig.
Wir lümmeln auf den Heuballen und erzählen uns gegenseitig Geschichten über Kühe und Popgruppen.
»Wyatt ist mit Mick Jagger befreundet«, teilt Casey mir mit. »Mit diesem alten Knacker.«
Am frühen Abend kommt Wyatt mit einem neuen Korb Feuerholz. Er stutzt bei meinem Anblick (meine Frisur ist hundert Prozent besser als zuvor), sagt aber nichts, sondern begibt sich ans Feuermachen.
»Ich hab gehört, Sie hatten Besuch heute«, sagt er und zündet ein Streichholz an.
Was sie ihm wohl erzählt haben?
»Rachel hat gesagt, sie hätte viel Spaß mit Ihnen gehabt.« Er räuspert sich. »Hören Sie, wegen gestern.« Er ist noch immer mit dem Feuer zugange. »Tut mir leid, dass ich
mich ein bisschen dämlich aufgeführt habe. Und ich hatte nicht vor, mich als jemand anderen auszugeben. Es war bloß, als Sie annahmen -«
»Ist schon okay«, unterbreche ich ihn. »Vergessen Sie’s.«
Er zögert. »Ich frühstücke immer spät. Kommen Sie morgen einfach rein, wenn Sie Hunger haben.«
Mr. Horner hat ihm also tatsächlich eine Vier gegeben, und er versucht auf eine bessere Note hinzuarbeiten. Ich gehe natürlich nicht hin: Er ist bloß aus Höflichkeit gastfreundlich.
Bevor ich etwas sagen kann, höre ich die Haustür aufgehen. »Jemand zu Hause?« Eine leicht nasale Männerstimme. Ein Verwandter von Wyatt?
Eine hochgewachsene Gestalt in einem marineblauen Regenmantel mit Kapuze kommt herein und starrt uns überrascht an. »Ich suche dich, Wyatt«, sagt er. »Ich habe gesehen, dass hier Licht brennt.«
Mein Anblick scheint ihn nicht sonderlich zu erfreuen. Er hat einen dünnen Spitzbart und ein paar Strähnen über die kahle Stelle an seinem Oberkopf gekämmt. Ich schätze ihn auf
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