Zuckerguss und Liebeslieder Roman
von Johnny Depp für Caseys Referat anzurufen.
»Bob. Ich bin’s, Alice«, sage ich so fröhlich, wie es mir unter den gegebenen Umständen gelingen will. Ich habe einen kleinen Kater.
»Alice«, raunt er. »Ich kann gerade nicht sprechen. Ich rufe dich in fünf Minuten zurück.«
Wie versprochen meldet er sich fünf Minuten später von seinem Handy aus. Dem Klang nach zu urteilen steht er auf der Straße.
»Ich muss bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen«, erklärt er mir. »Die Büroleitungen sind nicht sicher.«
»Nicht sicher?«
»Phoebe hört mit. Sie hat ständig Angst, Künstler an Graham zu verlieren.«
»An Graham?«
»Hmm. Es gehen Gerüchte um, dass er ein eigenes, unabhängiges Label aufzieht. Es sind unsichere Zeiten, Alice. Ich rate dir, bleib, wo du bist.«
»Woher weißt du das mit Graham?«, frage ich neugierig.
»Ich habe meine Quellen«, sagt Bob knapp. »Wir von der Technikabteilung sind so etwas wie eine Elite. Betrachte uns als den Inlandsgeheimdienst der Bürowelt. Unser Einfluss reicht sehr viel weiter, als du dir vorstellen kannst. Ich habe Graham im Visier«, schließt er.
»Schön, dass es ihm gut geht«, sage ich.
»Graham wird schmerzlich vermisst«, sagt Bob, so als wäre Graham gestorben. »Er hat gut für dich vorgesorgt, bevor er gegangen ist.«
»Ja?«
»Eine seiner Bedingungen für die Pensionierung war, dass Phoebe dich noch mindestens sechs Monate lang weiterbeschäftigt.«
»Verstehe.« Mir wird flau. Also hatte ich recht: Dieser Einsatz in Ohio war nur ein Vorwand, um mich aus dem Weg zu schaffen. »Woher weißt du das alles?«
»Ich lese sämtliche E-Mails von Phoebe«, sagt Bob.
»Was?«
»Ich habe das System eingerichtet«, sagt er lässig. »Ich habe ein Masterpasswort. Die Freaks von der Technik lesen alle die Büromails.« Er gackert vor sich hin. »Meine Güte. Ich erinnere mich noch daran, als du von dem Urlaub mit Stephen im Lake District zurückgekommen bist. Was für ein Hickhack um die Ausgaben!«
Das will ich mir wirklich nicht länger anhören. »Was hat Phoebe denn vor?«
»Das Londoner Büro zu schließen. Diese Betriebsprüfung ist nur ein Deckmantel für ihren globalen Übernahmeplan«, sagt er dramatisch. »Sie will alles von New York aus leiten, sobald sie sämtliche britischen Künstler getroffen und mit an Bord hat.«
»Wer weiß noch davon?«
Schweigen. »Niemand außer Betty von der Buchhaltung.« Jetzt fällt bei mir der Groschen - deswegen hocken die zwei beim Mittagessen immer zusammen. »Und ich habe bei Lisa vom Empfang ein bisschen was durchblicken lassen. Ich darf nicht zu viel sagen, bevor ich keinen anderen Job habe. Oder einen Buchvertrag. Ich habe
die romantische Mittelalterkomödie beiseitegelegt und mit einem Thriller angefangen. Es geht um eine gnadenlose Industriemagnatin und ihren bösen Handlanger, die auf Kosten der loyalen Angestellten Tonnen von Geld scheffeln wollen. Der Held heißt Rob.«
Mit einem Mal fühle ich mich von Gott und der Welt verlassen. Weder hier noch zu Hause in England gibt es für mich irgendetwas zu tun. Ich habe gern für Graham gearbeitet, und ich will mich nicht nach einem anderen Job umsehen. Vorstellungsgespräche waren für mich immer ein Horror (wenn auch nicht ganz so schlimm wie für Zara, die nach dem Test von Marks & Spencer zu mathematischem Grundwissen eine Sauerstoffmaske gebraucht hat). Und dann muss man neue Leute kennenlernen, neue Arbeitsabläufe lernen und verzweifelt darauf hoffen, dass man sich in der Kantine irgendwo dazusetzen kann. Das ist bestimmt der wahre Grund, warum so viele Leute am Schreibtisch essen.
Schluss mit den Grübeleien; ich frage nach den Fotos, und Bob verspricht, sie mir per E-Mail zu schicken.
»Hör mal, ich muss jetzt los«, sagt er. »Ich maile dir, wenn es was Neues gibt. Ich kann meine Spuren verwischen. Aber schreib nicht zurück. Ich glaube, Brent versucht den Code zu knacken.«
Ich schalte den Fernseher ein und warte auf die Nachrichten und den Wetterbericht. Offenbar soll nachmittags Tauwetter einsetzen, also rufe ich bei der Fluggesellschaft an, um meinen Flug umzubuchen, hänge wegen des Rückstaus gestrandeter Passagiere eine halbe Stunde in der Warteschleife und ergattere schließlich einen Flug für Samstag. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich wieder im Londoner Büro einzufinden, mir einen anderen Job zu suchen und
es bis dahin mit Brent auszuhalten. Dann gehe ich nach oben und mache mich ans Packen. Meiner Erfahrung
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