Zuckerguss und Liebeslieder Roman
weiterem köstlichem Tropicana-Orangensaft auf. Hier lebt es sich wahrhaftig in Saus und Braus.
Er setzt sich zu mir an den Tisch, begleitet von Travis, der in der Hoffnung auf gebratene Speckbröckchen zwischen uns hin und her trottet.
»Eine schreckliche Angewohnheit, bei Tisch zu betteln«, sagt Wyatt. »Keine Ahnung, woher er das hat.« Er langt nach unten. »Er ist nach Randy Travis benannt. Der arme Kerl hat jahrelang versucht, mich nüchtern zu kriegen.«
Dann reden wir über Casey, dem ich versprochen habe, heute Nachmittag bei seinem Referat weiterzuhelfen.
»Werdet ihr’s rechtzeitig fertigbekommen?«, fragt Wyatt.
»Den Großteil, ja. Die Fotos von Johnny Depp habe ich allerdings noch nicht. Wenn sie bis Samstag nicht da sind, könnte ich sie dann wohl an Sie weiterleiten?«
»Jaaa«, sagt Wyatt. »Aber wär’s nicht besser, wenn …«
Das Telefon klingelt. Wyatt geht hin.
»Hey. Ja. Sie ist da.«
Großer Gott, hoffentlich ist es nicht Gerry. Wiewohl der gestrige Abend teilweise durchaus erfreulich verlaufen ist, halte ich es für alle Beteiligten doch für das Beste, wenn wir uns niemals wieder Auge in Auge gegenüberstehen.
Wyatt sieht auf seine Armbanduhr. »In gut einer Stunde. Okay, ich sag’s ihr.«
»Das war Heidi«, sagt Wyatt und legt den Hörer auf. »Sie wollte nur noch mal daran erinnern, dass Sie heute Nachmittag einen Vortrag vor ihrer Klasse halten. Gleich nach der Mittagspause.«
Ich lege Messer und Gabel weg. Was für ein Vortrag? Welche Klasse? Wann?
21. KAPITEL
Die Highschool von Barnsley, ein weitläufiger Ziegelbau aus den Siebzigerjahren, liegt auf einer Hügelkuppe inmitten von Farmland. Hinter dem Parkplatz erstrecken sich sechs Tennisplätze und ein richtiggehendes Stadion mit einer 400-m-Bahn. Die Eingangshalle der Schule zieren reihenweise Fotos von Sportmannschaften und Wandvitrinen voller Trophäen - wie ich sehe, ist die Barnsley High, was Bowling in Ohio angeht, beileibe nicht zu unterschätzen.
Im Sekretariat beschreibt man mir den endlos langen Weg zu Heidis Klassenzimmer. Ich marschiere los und stehe irgendwann vor einer Tür, hinter der ich Höllenlärm höre. Und stelle fest, dass es sich um Heidis Klasse handelt.
Außerdem ist es hier drin brüllheiß. Warum sind Schulen bloß immer so überheizt?
Vor Nervosität ist mir speiübel. Aber was konnte ich schon machen? Heidi hat Wyatt offensichtlich weisgemacht, mein Vortrag sei bereits mit ihr abgesprochen. Mit gerade mal einer Stunde Vorlaufzeit habe ich weder Notizen noch Bilder vorzuweisen. Ich werde etwas tun müssen, was ich noch nie in meinem Leben getan habe - improvisieren. Es blieb nicht mal Zeit fürs Umziehen, sodass ich reichlich salopp gekleidet erscheine, in meinen Jeans von Marks & Spencer (normale Passform) und meinem getreuen Fleecepulli von Lands’ End.
Zögernd klopfe ich. Klopfe nochmals. Immer noch keine Antwort, also gehe ich hinein, und sämtliche Köpfe drehen sich zu mir hin. Auf den ersten Blick erfasse ich, dass alles stimmt, was man in diesen Highschool-Filmen so sieht. Ganz hinten sitzen die Sportskanonen und vor ihnen
die umwerfend hübschen Mädchen. Seitlich am Fenster sitzen die abgedrehten, finster blickenden Goths - ein Junge und ein Mädchen ganz in Schwarz mit jeder Menge Kettenschmuck - und vorn meine Sorte, die Streber, mit gespitzten Bleistiften, aufgeschlagenen Heften und gespannten Mienen. Es sind drei: ein Mädchen mit Zöpfen, ein Junge in einem ordentlich gebügelten, karierten Hemd und ein furchtbar dünnes Mädchen, das aussieht, als könnte ihr ein Mittwochabend in meiner Selbsthilfegruppe für Angstgestörte nicht schaden.
Heidi trägt ein marineblaues Kostüm und hochhackige Schuhe. Ihre Außenrolle ist noch markanter als bei unserem letzten Zusammentreffen. Sie erhebt sich hinter ihrem Pult und umarmt mich wie eine lange verloren geglaubte Freundin. Dann wendet sie sich zur Klasse.
»Wir wollen Alice ganz herzlich begrüßen, die heute hergekommen ist, um euch etwas über das Leben in England zu erzählen. Ich hoffe, ihr werdet diese wertvolle Gelegenheit zum Kulturaustausch nach Kräften nützen und jede Menge tiefschürfende Fragen stellen.«
Hoffentlich machen meine Beine das mit. Ich habe einen trockenen Mund, wage aber nicht, nach der Wasserflasche zu greifen, die ich mitgenommen habe, weil dann alle sehen würden, wie meine Hand zittert. Außerdem bin ich dank der Hitze tomatenrot im Gesicht. Wenn das so weitergeht, falle ich noch in
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