Zuckerleben: Roman (German Edition)
fasten müssen. Dann streckt er das Plastiksackerl Cristina entgegen.
Sie lehnt zuerst ab, mit einem Anflug von Beleidigung sogar, doch bevor Angelo Gelegenheit hat, selbst hineinzugreifen und die zweite Käse-Wurst-Semmel mit Salzgurken zu verspeisen, nimmt das Mädchen die Semmel und beißt demütig hinein. Sie schließt die Augen. Als Angelo sie ansieht, wendet sie ihr Gesicht ab mit einer Mischung aus Schamgefühl und primitiver Befriedigung darüber, endlich ihren Hunger ein wenig gestillt zu haben. Die Angst und die Schuld kehren jedoch bald zurück. Dann bemerkt Cristina die Autokennzeichen.
»Was sind das für seltsame Nummern?«, fragt sie.
»Moldawien.«
»Was?«
» MD steht für Moldawien.«
»Woher weißt du das?«
Angelo dreht sich um. Cristina sieht ihn fragend an, als er aus den Augenwinkeln heraus das Geräusch und die Scheinwerfer eines herannahenden Autos ausmacht. Der junge Italiener gibt Cristina hektisch ein Zeichen, dass sie in den Ford Transit einsteigen soll, und schiebt den Toten, es ist Tolyan Andreewitsch, auf den Beifahrersitz. Der Junge nimmt hinter dem Lenkrad Platz, zieht Cristina ganz nah an sich heran und fängt an, sie auf den Mund zu küssen. Cristina will Angelo vehement von sich wegschieben; als sie ein Auto herannahen sieht, lässt sie es aber mit sich geschehen.
Ein blauer Alfa Romeo mit der weißen Aufschrift CARABINIERI wird langsamer und bleibt neben dem Ford Transit mit einer federnden Bremsung stehen.
»Probleme mit dem Auto, ragazzi ?«, fragt sie ein lächelnder, Kaugummi kauender und sichtlich gut gelaunter Gesetzeshüter, der seine pilzförmige Carabinieri-Schirmmütze lässig nach hinten gezogen trägt.
Angelo tut so, als wäre er vom Erscheinen des Streifenwagens überrascht worden und lächelt verlegen. Cristina wischt sich die Lippen und schubst Angelo von sich weg.
» Tutto okay! Grazie, Ispettore! «
»Und was ist mit ihm los?«, fragt der glatzköpfige Kollege des Polizisten vom Beifahrersitz streng und deutet mit dem Finger auf Tolyan Andreewitsch.
»Vater ruht sich aus«, sagt Angelo.
»Und wir wollten eine Pinkelpause einlegen …«, lügt Cristina.
»Sieht aber nicht nach Pinkeln aus, das, was ihr da macht.«
Der Carabiniere mit dem Kaugummi lacht. Blickt Angelo scharf in die Augen.
»Ihr seid aber keine Geschwister, oder?«
»Wir sind Cousin und Cousine.«
Cristina wirft Angelo einen giftigen Blick zu; der Carabiniere mit dem Kaugummi grinst, zwinkert Angelo verschwörerisch mit dem Auge zu und rempelt seinen grantigen Kollegen mit dem Ellbogen.
»Schau, Leoluca, es ist Krise, und die da drüben haben nur Blödsinn im Kopf. Was sagst du dazu?«
Die strengen Gesichtszüge des Carabiniere mit der Glatze lockern sich unerwartet.
»Was soll ich schon dazu sagen, so war ich auch drauf in meiner Jugend.«
»Das war wohl noch, bevor du deine Glatze bekommen hast, was?«
Der Polizist mit dem Kaugummi bricht in schallendes Gelächter aus, während ihn sein schlecht gelaunter Kollege wortreich zum Teufel schickt. Dann, nachdem er sich ein wenig beruhigt hat, sagt er zu Angelo:
»Also, es gibt ein ruhiges Hotel hier ganz in der Nähe, 20 bis 25 Kilometer von hier; auf dem Weg zum Lago di Barrea. Da kannst du deinen Vater ausruhen lassen. Und schaltet beim nächsten Mal die Warnblinker ein, wenn ihr eine Pinkelpause einlegt, damit man euch sehen kann.«
»Vielen Dank, Ispettore . Wir werden hinfahren.«
»Also, wir müssen ohnehin in die Gegend. Wir bringen euch zum Hotel. Ihr folgt uns einfach. Dann könnt ihr in der Schule damit prahlen, unter einer Carabinieri-Eskorte herumgemacht zu haben.«
»Das ist gar nicht nötig, Ispettore . Wir schaffen es auch so.«
»Keine Widerrede. Oder sollen wir deinen Vater aufwecken? … Na siehst du. Auf geht’s, allora , ihr schamlosen Gauner! Andiamo !«
Der blaue Alfa Romeo mit der Aufschrift CARABINIERI setzt sich wieder in Bewegung. Der grantige Carabiniere mit der Glatze schaltet das Blaulicht ein.
23:02
Die Besitzerin des Hotels »Dolce della Luna«, die achtunddreißig Jahre alte Mailänderin Monica Elisabetta di Garozzo, stöhnt auf vor Lust. Es ist ein gedämpfter Laut, fast ein animalisches Raunen, den die Rothaarige von sich gibt. Ihre linke Brustwarze, über der ein kitschig bunter Schmetterling eintätowiert ist, befindet sich im Mund ihrer sechzehn Jahre jüngeren Freundin und Mitarbeiterin Francesca Lombardo. Francescas Zunge kreist gewissenhaft um die Brustwarze ihrer Chefin. Von
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