Zuckerleben: Roman (German Edition)
der Seite sieht es so aus, als würde Monica ihre nackte Mitarbeiterin stillen. Mit ihrer Linken streicht sie Francesca indes zart über die Wange, wie eine Mutter, die ihrem verschreckten Kind Trost spenden möchte. Kurze Zeit später wird das idyllische Bild jedoch ein wenig verzerrt, als Monica unvermittelt ihrer Angestellten die aufwendig lackierten Nägel ihrer rechten Hand oberhalb des Schlüsselbeins in den Rücken gräbt und sie senkrecht nach unten bis zu Francescas Hüfte durchzieht wie eine Katze, die sich am Kratzbaum die Krallen schärfen will, rote Striemen auf Francescas Rücken hinterlassend. Die zweiundzwanzigjährige Mitarbeiterin stöhnt laut auf. Mehr vor Schmerz als vor Lust. Francesca beißt sich daraufhin an Monicas Nippel fest und zieht ihrer Chefin mit der flachen linken Hand eine kräftige Watsche übers Gesicht. Monica packt Francesca sanft bei der Gurgel und flüstert ihr etwas Unanständiges ins Ohr, was die Zweiundzwanzigjährige mit Wonne erfüllt, ihrem seligen Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Der kräftige Duft von Räucherstäbchen stimuliert den Raum.
Im Hintergrund laufen auf RAI 1 die Nachrichten. Der Ton ist ausgeschaltet. Auf dem Bildschirm ist ein lächelnder Silvio Berlusconi zu sehen, der im italienischen Parlament soeben eine Rede gehalten hat. Er winkt seinem Publikum großherzig zum Abschied, als wären alle anwesenden italienischen Abgeordneten seine Fans, und lässt sich von seinen Bodyguards und einer großen Meute an Reportern und Journalisten, die beim Anblick ihres Idols wie ausgeflippte Groupies wirken und alle gleichzeitig versuchen, ihm ein Mikro oder ein Tonaufnahmegerät in die Gurgel zu schieben, so scheint es, aus dem Palazzo di Montecitorio hinauseskortieren. Berlusconi nimmt diese Prozedur mit einer professionellen Gelassenheit hin, die darauf schließen lässt, dass es nicht oft vorkommt, dass er das Parlamentsgebäude allein betreten oder verlassen muss.
Das nächste Bild zeigt randalierende Bürger im fernen Reykjavík, die das isländische Parlament und die davor in gelben Signaljacken postierten Sicherheitsbeamten mit großer Begeisterung mit Pflastersteinen bewerfen. Hier und da wirft ein besonders engagierter isländischer Bürger pathetisch mit vor Schmerz verzerrtem Gesichtsausdruck, der sagen will: »Ich kann mir so was eigentlich nicht leisten, aber für die gemeinsame Sache ist mir kein Opfer zu schade!«, ein teures Bio-Ei auf das Parlamentsgebäude. Die skandinavischen Demonstranten können erfolgreich die meisten Fenster des isländischen Althings einschlagen und zünden anschließend ihr Parlamentsgebäude voller Enthusiasmus an, während frierende Vertreter der isländischen Polizei ihre Mitbürger eher lustlos mit Tränengasgranaten bewerfen. Eine Gruppe Demonstranten zündet dessen ungeachtet voller euphorischer Ausgelassenheit weinend die Flagge der isländischen Kaupthing-Bank an und trampelt auf dem Porträt des gutmütig lächelnden Premierministers Geir Haarde herum. Im Hintergrund ist eine umsichtigere isländische Politikerin zu sehen, die heimlich mit einem dicken Leitz-Ordner unter dem Arm aus dem Hinterausgang des brennenden Parlaments flieht, sich vorsichtig nach links und rechts umsehend.
Darunter wird mit leuchtender Schrift der Text eingeblendet: »In Island finden heute die schlimmsten Unruhen seit dem NATO -Beitritt des Inselstaates 1949 statt.«
Ein Wecker läutet hartnäckig.
»Ich mache mal meinen Rundgang«, flüstert Francesca und steigt unter dem Protest ihrer Chefin, Signora di Garozzo, aus dem Bett, zieht sich hastig einen Nachtmantel über, nimmt eine Obstschale mit einem scharfen Messer darin vom Nachttisch und geht zur Tür hinaus. Auf den Gängen ist nichts Verdächtiges zu hören. Bis auf ein leises Geflüster auf Serbisch, gefolgt von gedämpftem Gelächter, als würde dort jemand geistreiche Witze erzählen, hinter der Tür mit der Nummer 7.
»Nur Wladyka Borimirović schläft nicht«, flüstert die junge Frau ins Nichts und geht noch ein paar Schritte. Bleibt kurz stehen, bevor sie umdreht und Richtung Küche geht, um die Obstschale zurückzubringen. Plötzlich findet sie sich vor dem Gemach mit der Nummer 12 wieder. Francesca erinnert sich mit Unbehagen daran, dass sie das Zimmer noch nicht gemacht hat. Eigenartig, denkt Francesca, sie kann sich nicht an das Check-out der 12erinnern, weiß aber ganz genau, dass das Zimmer nicht verlängert wurde. Kurzerhand beschließt sie, das Zimmer schnell
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