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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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hatte das erste Mal das Gefühl, als hätte ihre Jugend einen Sinn gehabt. Sie konnte den Gedanken noch nicht ganz akzeptieren, aber er kam immer wieder: Wenn sie durch ihre Geschichte, dadurch, daß sie veröffentlicht wurde, etwas zuwege bringen konnte, wenn über ein Tabu dadurch vielleicht zu sprechen war, dann hatte das alles möglicherweise einen Sinn gehabt. Wenn sie auch nur einem Kind helfen konnte, aus dem Teufelskreis auszubrechen, dann hatte das alles einen Sinn gehabt. Wenn nur eine Mutter dadurch nicht mehr wegsah, sondern hinsah und ihrem Kind die Hand reichte, dann hatte das alles einen Sinn gehabt.
    Ich habe es geschafft, dachte Gaby, ich habe es geschafft, meine Geschichte aufzuschreiben. Und jetzt wollte sie glücklich sein mit Hubert und ihren Kindern. Sie hatte sie so sehr in Hamburg vermißt. Diesmal war Huberts Mutter nicht nach Holland gekommen. “Es ist mir mit den Kindern zu anstrengend”, hatte sie zu Hubert gesagt. Sie hatte in letzter Zeit immer öfter Herzbeschwerden. “Sie nimmt ihre Tabletten nicht, und natürlich geht es ihr dann schlechter”, erzählte Iris ihr am Telefon.
    “Ich schaff’ das schon allein”, glaubte Hubert Gaby beruhigen zu müssen. “Selbst Alex ist ja jetzt schon ein großer Junge.” Ja, ihr kleiner Alex wurde im Sommer schon neun Jahre, ein zartes, anschmiegsames Kind mit einem unglaublich starken Willen und scharfer Beobachtungsgabe. “Wir waren gestern bei Tante Ursel zum Essen”, erzählte er ihr am Telefon. “Sie hatte ganz leckere Rouladen gemacht.” Er holte Luft. “Deine sind aber noch viel leckerer.” Gaby hatte gelacht und den kleinen Stich nicht beachtet. Natürlich ging Hubert mit den Kindern zu Ursel. Warum auch nicht? “Wir dürfen dich auch mit abholen”, sagte Daniel und: “Ich freue mich schon, Mammi.” Ihre Kinder. Was auch immer sie verkehrt gemacht hatte, wo auch immer sie beschädigt war, ihr Verhältnis zu ihren Kindern stimmte. Sie war keine schlechte Mutter. Sie liebte ihre Kinder, und ihre Kinder liebten sie.
    Selbst aufgeregt wie ein kleines Kind, stand Gaby am Abteilfenster und sah auf den Bahnsteig, als der Zug einfuhr. Da, Hubert. Wie grau er seit seiner letzten Operation geworden war! Da liefen die Kinder am Zug entlang, sie hatten sie gesehen, winkten ihr strahlend, lachend zu. Ach, es war herrlich, nach Hause zu kommen! Die Kinder fielen ihr um den Hals, küßten sie. “Mmh, was duftest du gut, Mammi!” — “Hast du etwas mitgebracht, Mammi!” — “Natürlich”, sagte sie und gab Daniel ihre Tasche. “Sieh da mal hinein.”
    Noch lachend richtete sie sich auf und sah zu Hubert. Er war auf drei Meter Abstand stehengeblieben und sah sie an. Sie fröstelte. Warum sah er sie so an? “Bekomme ich keinen Kuß?” fragte sie und lachte. Aber es klang unecht. “Als erstes wieder eine Klage”, sagte Hubert. “Du bist noch nicht ganz da, und du klagst schon wieder.” Die Kinder hörten auf, in der Handtasche zu suchen; sie sahen ihre Eltern an.
    “Du sollst Mammi nur einen Kuß geben”, sagte Alex böse. “Nun gib ihr schon einen Kuß.” Hubert küßte sie auf die Wange. Seine Lippen waren kühl. “Darf ich deinen Koffer nehmen”, sagte er freundlich. “Die Parkuhr ist gleich abgelaufen.” Gaby fühlte, wie sie zitterte, ihr ganzer Körper begann zu zucken. Ich muß mich zusammennehmen, dachte sie, die Kinder dürfen nichts merken. Daniel suchte ihre Hand. “Halt dich schön fest, Mammi”, sagte er. Alex schmiegte sich an sie. Sie legte den Arm um seine Schultern. “Du hast uns gefehlt, Mammi.” Es war ja gut, alles war gut. Sie hatte ihnen gefehlt. Hubert hatte sie nur verkehrt verstanden. Nur ein klitzekleines Mißverständnis. Alles wird gut.

    Ein paar Stunden später glaubte sie es nicht mehr.
    Vor der Abreise hatte sie ein sauberes Nachthemd unter ihr Kopfkissen gelegt. Sie hob das Kopfkissen ein wenig an und zog das Nachthemd hervor. Mit dem Nachthemd zog sie eine kleine, hellblaue Packung hervor. Sie nahm die Packung in die Hand. “Duralex”, las sie halblaut, “die besten Kondome seit fünfzig Jahren.” Ganz langsam setzte sie sich auf die Bettkante. Sie hatte mit Hubert nur nach der Geburt Daniels Kondome gebraucht, ein paar Monate, danach nie wieder. Wieso lagen jetzt in ihrem Bett, unter ihrem frisch bezogenen Kopfkissen, Kondome? Hubert kam aus dem Badezimmer. Er summte ein Lied. Sie reichte ihm die angebrochene Packung. “Woher kommen die? Wieso liegen in unserem Bett Kondome?”

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