Zuckerpüppchen - Was danach geschah
und klagte, schluchzte und zerriß die Zeitschrift. “Sinnlos, sinnlos, das alles, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.” Unfähig sie zu trösten, saß er an ihrem Bett und versuchte sie zu beruhigen. “Du wußtest doch, daß da etwas auf dich zukommen würde. Niemand hat das so gemeint. Das legt sich alles wieder.” Sie raste weiter, vergrub ihr Gesicht in dem durchweichten Kissen, bis sie keine Kraft mehr hatte. “Ich brühe dir einen Kaffee”, bot er an. “Mach dich frisch, die Kinder kommen gleich vom Sport zurück. Sie sollen dich doch nicht so sehen.” Nein, natürlich nicht. Sie duschte, zog sich adrett an und trank den Kaffee, den er ihr einflößte. Sie war nicht imstande, die Tasse zu halten. “Nächste Woche fahren wir in Urlaub. Danach ist der ganze Spuk vorbei. Kein Hahn wird mehr nach deiner Veröffentlichung krähen.” Sie schwieg. War es das, was sie wollte? Hatte sie sich dafür Nacht für Nacht auf den Schreibmaschinentasten die Nägel in ihr Fleisch gehämmert? Daß nach vier Wochen alles vergessen war? “Nein”, sagte sie, “dann geht es erst richtig los.”
Immer wieder die hochgespannten Erwartungen: In diesem Urlaub wird alles anders. Diesmal werden wir zueinanderfinden. Diesmal werden wir die Worte finden, die so lange unausgesprochen zwischen uns stehen. Am Morgen des Abreisetages erwachte Gaby mit ziehenden Schmerzen im Unterleib, fühlte eine klebrige Nässe bis hinauf zu den Schultern. Sie schwamm im Blut. Entsetzt starrte sie auf die Lache unter sich, fühlte den Saft noch immer beängstigend aus sich herausrinnen.
“Es wäre ja auch zu schön, wenn es bei uns einmal nicht so dramatisch zugehen würde”, sagte Hubert und: “Rufe auf jeden Fall den Doktor an.”
“Kommen Sie bitte in meine Praxis”, sagte der Arzt, “am Telefon kann ich keine Diagnose stellen.” Er untersuchte sie kurz. “Kein Grund zur Aufregung”, sagte er dann. “Sie haben vor zwei Monaten ja schon einmal soviel Blut verloren. Damals haben wir eine Ausschabung gemacht. Es war alles in Ordnung.”
“Und wieso blute ich dann wie abgestochen?” fragte Gaby und wünschte, der Arzt wäre eine Frau. Nur eine Frau kann begreifen, wie man sich fühlt, wenn das Blut so aus einem herausläuft, unerklärlich, bedrohend, weil Blut doch Leben war, und jetzt bedeutete es wieder Angst und Schmutz und Tod. “Psychosomatisch, denke ich, rein psychosomatisch. Ich verschreibe Ihnen Tabletten. Davon nehmen sie den ersten Tag alle drei Stunden zwei Stück. Das wird die Blutung bestimmt aufhalten. Die Tabletten nehmen Sie aber noch die ganze Woche weiter.”
“Kann ich reisen?” fragte Gaby. “Unser Auto steht vollgepackt vor der Tür.” Der Arzt stand auf. “Natürlich! Fahren Sie schön in den Urlaub, und vergessen Sie alle Ihre Sorgen.”
“Natürlich kann ich fahren”, beruhigte Gaby die Kinder und Hubert, falls er daran gezweifelt hatte, und hätte sich am liebsten in ihr Bett gelegt, die Hände auf den Unterleib gepreßt, um diese Krämpfe in Schach zu halten. Statt dessen nahm sie eine doppelte Dosis Schmerztabletten und sicherte ihre Wäsche mit dreifachen Binden. “Fährst du zuerst”, fragte Hubert sie. “Ich bin vom Einladen schon geschafft.” — “Natürlich fahre ich”, sagte Gaby schuldbewußt, denn weil sie beim Arzt gewesen war, hatte sie ihm nicht helfen können. Die erste Übernachtung war in Österreich, und Gaby sackte wie eine Tote in das zu weiche Bett mit dem plusterigen Federbett. Den ganzen Tag im Auto zu sitzen, stundenlang angestrengt auf die Fahrbahn zu sehen, während sich in ihrem Leib ein Kampf zwischen Naturgewalt und chemischen Waffen abspielte, hatte sie ausgehöhlt. Bei jeder Rast hatte sie Schmerztabletten geschluckt, und Hubert sagte: “Na siehst du, es geht ja.” Und sie hatte genickt und gehofft, daß er nicht etwa dachte, sie würde sich nur anstellen! Die chemischen Waffen gewannen, und die Blutung nahm erst einen normalen Umfang an, gab sich dann geschlagen.
Am zweiten Tag kletterte das Thermometer auf über fünfunddreißig Grad, und die Kinder verkrochen sich auf den Rücksitzen hinter ihren Sonnenblenden. Gaby fuhr in der Mittagszeit, die Sonne knallte auf ihren Kopf, und sie fühlte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren lief. Hubert war auf dem Sitz neben ihr in Schlaf gefallen, ein Handtuch, ins Seitenfenster geklemmt, schützte ihn vor zuviel Sonne. Eigentlich hätte er sie schon ablösen sollen, aber sie wollte, daß er ihr
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