Zuckerpüppchen - Was danach geschah
wurde es still um sie herum, jeder sah Gaby an, wartete auf eine Antwort. “Wenn du das meinst”, sagte sie ganz ruhig, während sie von innen beinahe zersprang, “so kann ich daran nichts ändern. Aber vielleicht überzeugst du dich eines Tages vom Gegenteil.” Sie sah zu Hubert. Er tat so, als hätte er nicht richtig zugehört. “Prost”, sagte er und hob sein Glas. “Kinder, streitet euch nicht.”
Nichts hatte diesen Tag als den Tag angekündet. Sie hatte das kirchturmuhrlaute Ticken der Bombe nicht gehört. Sie hatte das schwarze Loch nicht auf sich zurasen sehen. Er begann wie ein ganz normaler Tag. Sie hatte in der Tür gestanden und Hubert hinterhergewinkt. Sie hatte die Tür geschlossen und den Gedanken “Einmal wird es das letztemal sein” energisch zur Seite geschoben. Unsinn! Sie war bei Ursel zum Kaffee eingeladen. Sie saßen draußen im Garten und genossen die warme Sonne, die Blumenpracht in den Terrakottaschalen, und Alex’ fröhliches Geplauder. Er erzählte vom letzten Urlaub in Spanien, wie toll das Schwimmbad gewesen war. “Morgens bin ich schon reingesprungen, Tante Ursel, und ich konnte durch das ganze Becken tauchen.” Für Ursel hatte sie eine handbemalte kleine Vase mitgebracht. Und Gaby zeigte stolz ihre neue Perlenkette, wunderschöne cremefarbige Mallorcaperlen, ihr diesjähriges Urlaubsgeschenk. Sie dachte einen Moment an die griechische Kette und vertrieb auch diesen Gedanken vor ihren Augen wie eine lästige Fliege. Der Jo-Jo-Effekt im Urlaub war stärker als in anderen Jahren gewesen, aber sie waren ja auch schon beinahe fünfzehn Jahre verheiratet. Sie konnte sich nicht beklagen, Hubert war aufmerksamer als alle Ehemänner ihrer Freundinnen zusammen, und das “Andere”, das bestand doch nur alles in ihrer Phantasie. Obwohl... Sie hatte das Ticken der Bombe nicht gehört.
Aber als Hubert abends — die Kinder lagen im Bett, und Gaby sah sich irgendeine banale Sendung im Fernsehen an, die sie im gleichen Moment schon vergessen hatte — mit seinem Notizbuch ins Wohnzimmer trat, da hörte sie es. Sie sah ihn in der Tür stehen, ein wenig vorgebeugt, in der einen Hand den Kalender, während er mit den Fingern der anderen Hand seine Nasenspitze rieb. Und es war, als würde seine ganze Erscheinung plötzlich von einem hellen Blitz erleuchtet, als löse sie sich im nächsten Augenblick auf. Atomisiert, verschwunden, graue Asche. Die Bombe!!! Sie wurde eiskalt, ihr Magen verwandelte sich in einen Eisklumpen. Oh Gott, jetzt, jetzt geschieht es. Jetzt!
“Ich wollte mit dir über ein paar Absprachen reden.” Er setzte sich auf die Couch ihr gegenüber. Sie richtete sich aus ihrer immer noch lässigen Haltung auf, setzte ihre Füße akkurat nebeneinander auf den Boden, faltete die Hände im Schoß. “Ja?” Sie konnte noch sprechen.
“Ich will noch etwas Urlaub planen. Du weißt, daß ich mit meiner Mutter in Urlaub fahren will.”
Die Kraftprobe. Nein, es war mehr als das. Alles oder Nichts. Aber warum?
“Mit deiner Mutter?” Ihre Stimme klang nur ein ganz klein wenig spöttisch. Wenn er jetzt sagt, du mußt das verstehen, Gaby, sie ist alt und krank, und wer weiß, vielleicht lebt sie nicht mehr lange, dann ist alles gut. Aber das sagte er nicht.
Er fuhr auf, böse, stark irritiert. “Es hängt mir zum Halse heraus, daß du mir nicht glaubst. Du solltest doch wissen, daß das nur an dir liegt. Du mit deinem Unvermögen zu vertrauen. Hast du denn in deiner Therapie nichts gelernt? Immer diese Wahnvorstellungen, immer dieses unberechtigte Mißtrauen.”
Gaby verschränkte ihre Hände für einen Augenblick ganz fest ineinander. Oh Gott, warum, warum muß das geschehen. Hilf mir! Langsam löste sie ihre Hände auseinander. Sie waren ganz feucht. “Ja”, sagte sie mit flacher Stimme, “dann wollen wir doch einmal damit anfangen, worauf sich seit Jahren mein unberechtigtes Mißtrauen richtet, meine Wahnvorstellungen.” Sie nahm das Telefon auf ihren Schoß, sah ihn an. Wer war die Schlange, wer das Kaninchen? “Ich werde jetzt Ursel anrufen”, fuhr sie fort, wie unter einem Zwang, “und ich werde Ursel fragen. Ihr von meinen Wahnvorstellungen und meinem Mißtrauen erzählen.”
Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Sie sah es mit Entsetzen. “Wenn du dich lächerlich machen willst, bitte”, versuchte er zu retten, was noch zu retten war. Sie drehte die ach so vertraute Nummer. Ursel war sofort am Telefon. Ihre liebe Stimme. “Hallo, Gaby, hast du heute mittag
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