Zuckerpüppchen - Was danach geschah
fragen, Hubert meinte nur...” Mußte sie sich hinter Hubert verstecken? Warum sagte er jetzt nichts mehr? “Ich wollte einen Schrank kaufen, wirklich, ich wollte dich nicht darum bitten. Hubert dachte nur...” Sie sah ihren Mann an. Nun sag doch endlich etwas! “Wir dachten, aus einem Untermieterzimmer, die Möbel werden da auch nicht besser, wie die jungen Leute damit umgehen...”, stotterte er, rieb sich seine Nasenspitze, schwieg. Wieder sah seine Mutter nur Gaby an. “Ihr meint, die Möbel werden immer schlechter? Ja? Wer weiß, was sie noch wert sind, bis ich tot bin?” Ihre Stimme war jetzt zwei Tonlagen höher. Sie wandte sich wieder direkt an Gaby. Nur ihr galt die Anklage. “Du mußt schon warten, bis ich tot bin. Wenn ich unter der Erde liege, dann erst bekommst du etwas. Erst dann kannst du deinen Schrank haben.” Ihre Stimme ging über in ein Schluchzen. “Dann brauche ich nichts mehr. Ich weiß, du wartest darauf, alle wartet ihr darauf. Wartet ihr darauf, daß ich tot bin.” Einen Augenblick hatte Gaby die Neigung, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten, aber ihre Empörung gewann die Oberhand. “Wie kannst du”, rief sie, “wie kannst du mich bezichtigen, auf deinen Tod zu warten? Wie kannst du so etwas von deinen Kindern denken? Weißt du nicht, wie sehr sie dich lieben?” Und während sie das sagte, fragte etwas in ihr, ob ihre Kinder sie wirklich so liebten. War es nicht viel mehr eine erstickende Abhängigkeit? Hatte Hubert sich je von seiner Mutter freigemacht? Hatte er sie deshalb in diese unerquickliche Situation manövriert? “Wie kannst du nur”, rief Gaby, hin und her gerissen von ihren Gefühlen. Sie nahm das Glas vor sich und schmiß es auf den Fußboden. “Keinen Augenblick habe ich daran gedacht, nicht einen einzigen Augenblick.” Huberts Mutter hatte sich wieder gefangen. Das zersplitternde Glas war zuviel. Dies hier war eine Szene! Sie verabscheute Szenen aller Art. “Nur Pöbel streitet sich”, hatte sie einmal gesagt. Sie verließ das Zimmer mit erhobenen Haupte, Hubert folgte ihr. Später hatte Gaby sich wegen des Glases entschuldigt.
Einige Tage später kaufte sie bei einem Antiquitätenhändler einen wunderschönen Biedermeierschrank. Zärtlich rieb Gaby über das glänzende Mahagoniholz. Wie gut es roch, die feinen Holznarben! Der Schrank hatte eine Vergangenheit. Vielleicht hatte er früher in einer Kaufmannsfamilie die Aussteuer beherbergt, fein säuberlich mit Schleifen zusammengebunden, weiße Laken, weiße Spitzen, alles sauber und adrett. Es war nicht ihre Vergangenheit, aber es war schön, davon zu träumen.
“Es geht mir wirklich wieder etwas besser”, hörte sie Huberts Mutter in ihre Gedanken hinein sagen. “Wie schön dich wieder zu sehen, mein Guter.” Hubert küßte seine Mutter auf beide Wangen: “Gut siehst du aus, beinahe wie ein junges Mädchen.”
Die Feierlichkeiten verliefen pompös, mit vielen teuren Geschenken und einem Überfluß an Essen und Trinken. In Gesprächen eckte Gaby stets mehr an. Ihre emanzipatorische Einstellung wurde als männerfeindlich und gefährlich links eingeschätzt.
Beim Festessen saß sie ihrem Schwager schräg gegenüber, einem Herrn Baron. Sie hatte gehört, daß er Ärger in der Firma gehabt hatte, und gerade vor dem Essen eine unangenehme Diskussion mit seinem Vater. Er war sichtlich verschnupft. Eigentlich mochte sie ihn ganz gerne, von seiner superrechten Einstellung zur Politik einmal abgesehen. Schon deshalb, weil seine Schwiegermutter, ihre Schwiegermutter, ihn trotz seines Titels nicht akzeptierte. Das tröstete sie ein wenig. Vielleicht hatte die recht, daß er nicht viel außer den Abläufen im väterlichen Betrieb gelernt hatte, aber er konnte charmant und unterhaltend plaudern. Das war mehr, als wozu manch anderer der Gäste imstande war. Eine Kusine sprach sie auf ihre Arbeit und ihre Kolleginnen bei der Frauenzeitung an. “Sind das nicht furchtbare Emanzen, die alle Männer am liebsten zur Hölle schicken wollen?” — “Es dreht sich mehr darum, daß Frauen die gleichen Rechte und Pflichten haben sollten”, blieb Gaby bewußt ein wenig an der Oberfläche. Der Kalbsbraten war vorzüglich und die hausgemachten Spätzle eine Delikatesse. Sie wollte sich nicht engagieren. Doch Cornelias Mann sah sie scharf an. “Du und Emanzipation”, sagte er spöttisch. “Du bist doch überhaupt nicht in der Lage, ohne deinen Mann zu leben. Ohne ihn bist du doch ein Nichts.”
Einen Augenblick
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