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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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ein. ‘Mißbraucht’ war ein Wort, das man besser nicht zur Kenntnis nehmen sollte. “Er ist doch wieder verheiratet”, sagte Gaby. “Mit einer Frau, die dreißig Jahre jünger ist.” — “Drum. Allzuviel Ansprache hat er bei der auch nicht.”
    Soll ich vielleicht auch noch Mitleid mit ihm haben? dachte Gaby. Mutti hat er das Leben zur Hölle gemacht, und jetzt amüsiert er sich mit einer jungen Frau.
    “Für mich ist er gestorben”, sagte sie und wünschte, es wäre die Wahrheit.
    “Bitte zum ‘Eppendorfer Baum’, sagte Gaby zu dem Taxifahrer und sackte in das weiche Polster. Sie hatte zwei Beruhigungstabletten genommen und hoffte, daß der Martini, den sie noch vor dem Weggehen im Stehen hinuntergekippt hatte, bald seine Wirkung tun würde. Sie hatte Angst vor dem Wiedersehen mit ihren ehemaligen Klassenkameradinnen. Andererseits wollte sie zeigen, daß sie es geschafft hatte. Sie wußte nicht, was hinter ihrem Rücken gemunkelt wurde, aber sie wollte das alles entkräften. Sie hatte einen gutaussehenden Mann in einer gehobenen Position und vier gesunde, hübsche Kinder. Von allen hatte sie ein Foto dabei. Sie konnte beweisen, daß sie ihren Weg gemacht hatte. Ihre Angst fiel zusammen wie ein aufgeblähter Frosch. Vor diesen Frauen Anfang Vierzig brauchte sie keine Angst zu haben. Da hatten sich wie bei ihr die ersten Sorgenfalten um die Mundwinkel eingegraben, und auch die ersten Krähenfüße um die Augen kamen nicht aus dem Nichts angeflogen. Anne erkannte sie gleich. Sie hatte noch immer das pausbäckige Gesicht mit den veilchenblauen Augen. Wie hatte sie aufgepaßt, daß Pappi ihr nie zu nahe kam. Ob sie jemals etwas gemerkt hatte? “Leben deine Eltern noch?” fragte Anne sie, nachdem sie sich lachend um den Hals gefallen waren. “Meine Mutter ist schon seit fünfzehn Jahren tot”, sagte Gaby, “und mein Stiefvater, ja, der lebt noch.” Sie holte Luft. “Mit ihm habe ich keinen Kontakt mehr.” — “War auch ein ulkiger Typ”, sagte Anne unbekümmert. “Meine Mutter hat letztes Jahr wieder geheiratet. Kannst du dir das vorstellen, mit fünfundsechzig?”

    Frau Moll war der größte Erfolg. Sie ging von einem zum anderen, sah ihren ehemaligen Schülerinnen in die Augen, drei, vier Sekunden lang, und dann sagte sie den Namen. Sie nahm Gabys kalte Hand und sah sie an. “Gaby Mangold”, sagte sie sofort. “Du hast noch immer den gleichen Blick. Du hattest schon früher keine Kinderaugen.” Gaby fühlte, wie sie blutrot wurde. Das gleiche hatte die Bäuerin, bei der sie einmal zur Sommerfrische war, auch gesagt: “Habt ihr ihre Augen gesehen? Das sind doch keine Kinderaugen.” Meinte Frau Moll dasselbe? Hatte sie ihr Kainszeichen erkannt? Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hatte. Und von Gott mit einem Zeichen versehen wurde, daß ihn niemand erschlüge.
    “Ich meine”, sagte Fräulein Moll langsam, “du warst schon damals viel weiter als deine Altersgenossinnen.” Sie setzte sich ihr gegenüber. “Wenn ich zum Beispiel an deine Aufsätze denke... Die waren etwas Besonderes. Hast du das in deinem Beruf verwerten können?”
    Gaby war ganz warm geworden bei den lobenden Worten ihrer ehemaligen Klassenlehrerin. Wie abhängig man von dem Lob derer bleibt, die in der Jugend für einen wichtig waren. Als wenn man wieder das Kind von damals ist. So fühlte sie sich auch beinahe schuldig, als sie von ihren vier Kindern erzählte und ihrem Mann, dem sie mit vielen Repräsentationsverpflichtungen zur Seite stehen mußte. “Und du, Gaby”, fragte Frau Moll eindringlich, “was tust du? Ich war immer überzeugt, daß du mit deinem Schreiben etwas machen würdest?”

    Die Hypnose war tief und schwer. Gaby war das Kind von zehn Jahren. Sie hatte gerade ihre Freundin Elli verloren. Elli, die sie nicht vor Pappi hatte schützen können. Elli, die sie geliebt hatte. Elli, die sie bezaubert hatte durch ihr glucksendes Lachen, dunkle Kohlenaugen und goldige kleine Kräusellocken. Elli, die verächtlich zu ihr gesagt hatte: “Ich dachte, du wärest meine Freundin, so eine wie du.” Und die dann nie wieder mit ihr gesprochen hatte. Niemand hatte während des letzten Monats auf der Volksschule mit ihr gesprochen. Nachdem Ellis Mutter zur Rektorin gegangen war. Gaby wurde allein in eine Bank gesetzt, und die anderen Kinder mieden sie. Sie war anders, sie wußte Dinge, über die man nicht sprach.
    “Sieh dich um”, sagte Jaap zu ihr. “Sieh dich um, und suche jemanden, mit dem du reden

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