Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Deutschland ihre Freunde aufgegeben und war Hubert in das fremde Land gefolgt. Hals über Kopf, weil er das Haus so günstig und schnell hatte mieten können. Aber lieferte man sich in einer Beziehung nicht immer dem anderen aus? Sie hatte ihm voll vertraut, sonst wäre sie nie mit ihren Kindern nach Arnheim gezogen. “Ja”, bestätigte sie Jaap, “ich habe mich ihm ausgeliefert. Mit Haut und Haaren.”
“Bedauerst du es?” Allein Jaaps Frage erschien ihr schon eine Ungeheuerlichkeit. Er stellte damit ihre festgefügte Ordnung in Frage. “Natürlich nicht. Ich liebe ihn. Wir haben zwei Kinder. Er ist der Mann, von dem ich immer geträumt habe.” Sie schwieg. Auch Jaap sagte nichts. Sah sie nur an. “Vielleicht”, fuhr sie nach einer Weile, als ihr die Stille körperlich schmerzhaft bewußt wurde, zögernd fort, “vielleicht müßte ich besser mit ihm reden können. Ich glaube, er begreift mich oft nicht.” Sie dachte an ihre Briefe, die sie ihm geschrieben hatte. Damit er wußte, wie sie über Treue und Sex dachte. Daß das für sie etwas Ausschließliches war, tief verbunden mit Liebe und Zärtlichkeit.
“Du mußt es versuchen”, sagte Jaap. “Du mußt es immer wieder versuchen. Und das ist auch gleichzeitig deine Hausaufgabe. Bis zur nächsten Sitzung hast du ihm zumindest etwas aus deiner Jugend erzählt. Etwas mehr als den Satz: Ich bin mißhandelt und mißbraucht worden. Und vielleicht kannst du noch mit jemandem darüber reden. Jemandem, dem du auch voll vertraust. Es ist für dich sehr wichtig, Gaby, Menschen wieder zu vertrauen.”
Gaby winkte noch einmal aus dem Abteilfenster des Zuges. Sie sah Hubert kleiner und kleiner werden. Eine kleine graue Puppe mit erhobenem Arm am Ende eines Bahnsteiges. Der Zug fuhr um eine Biegung, und Hubert war verschwunden. Sie schob das Fenster mit beiden Händen hoch und war froh, daß sie allein in dem kleinen Abteil saß. So konnte sie ungestört ihren Gedanken nachhängen.
Nach der letzten Sitzung bei Jaap hatte sie versucht, mit Hubert über ihre Jugend zu reden. Nicht so sehr darüber, was damals alles geschehen war, sondern was es heute für sie bedeutete. Daß ihr Vertrauen, was Liebe und Geborgenheit betraf, durch ihren Stiefvater einen schweren Knacks bekommen hatte. Daß sie sich dadurch oft so minderwertig vorkam. Daß sie anscheinend wegen der Geschehnisse in ihrer Jugend selbst große Schuldgefühle hatte. Hubert hörte sich das alles an, strich mit seinem Zeigefinger die Falte zwischen seinen Augenbrauen glatt und fragte nichts. Nicht, was denn nun da eigentlich geschehen war, warum sie sich minderwertig vorkam und weswegen sie Schuldgefühle hatte. Vielleicht wußte er das alles? Ahnte er, was sich damals abgespielt hatte? “Du darfst nicht zuviel von deinem Mann erwarten”, hatte Jaap sie gewarnt. “Es wird für ihn ein Schock sein.” Falls es ein Schock war, so konnte Hubert es gut verbergen. Er zeigte keinerlei Gefühlsregungen. “Vielen Dank”, sagte er zum Schluß förmlich, “daß du mit mir darüber geredet hast. Jetzt weiß ich zumindest, warum du mir immer wieder mißtraust. Das ist ja kein Wunder, daß du wegen deiner frühen Erfahrungen kein Vertrauen haben kannst. Daß du dadurch jedem um dich herum mit Argwohn begegnest. Das ist vielleicht etwas, woran du arbeiten solltest.” Gaby hatte die Arme vor ihrem Bauch verschränkt. Sie fühlte diese Antwort wie einen Schlag unter die Gürtellinie. Sie suchte sein Verständnis, und er parierte mit einem Verweis. Aber vielleicht hatte er recht? Auch Jaap hatte gesagt, daß sie es wieder lernen mußte, Menschen um sie herum mehr zu vertrauen. Gut, sie wollte noch einen Schritt weiter in die gute Richtung tun. Sie wollte alles tun, um aus dieser Sackgasse ihrer Gefühle herauszukommen.
Am nächsten Tag war sie mit Ursel, Alex und Daniel zu der Kiesgrube zum Schwimmen gefahren. Während die Kinder im Wasser herumplanschten, setzte Gaby sich dicht neben Ursel. So dicht, daß sie sie nicht ansehen konnte, aber ihre Nähe fühlte. “Weißt du eigentlich, warum ich in Therapie bin?” fragte sie sie und sah zu Alex, der vergeblich versuchte, in sein Gummiboot zu klettern. Ursel wandte den Kopf blitzschnell zur Seite, und weil Gaby so dicht neben ihr sah, glaubte sie für eine Sekunde ein erschrockenes Licht in ihren Pupillen aufflammen zu sehen.
Sie wandte ihren Kopf ab. “Ich will Alex eben helfen.” Sie stand auf, setzte Alex in das Gummiboot und vergewisserte sich, ob das Tau,
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