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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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sie mit dem Fernstudium auf die Nase fiel, Pech gehabt! Aber dann hatte sie es zumindest versucht. Natürlich hatte sie ihre Zweifel. Im starken Maße sogar. Konnte man schreiben lernen, wie man kochen lernt: Man nehme eine Idee, eine gute Portion Phantasie, gebrauche einfache Worte, klare Sätze, das ganze auf kleiner Flamme ziehen lassen, mit etwas Humor abschmecken und eine Prise Ironie nicht vergessen? Ganz bewußt packte sie alle ihre Selbstzweifel in der ersten Phase des Schreibenlernens in eine Schublade und machte die energisch zu. Damit hatte sie ja Erfahrung... Doch anders ging es jetzt nicht. Sie würde es niemals lernen, wenn sie ihrem mangelnden Selbstbewußtsein nachgab. Wenn sie auf die Stimmen hörte, die ihr zuflüsterten: Du willst Bücher schreiben? Bildest du dir tatsächlich ein, daß jemals jemand etwas von dir druckt? Schau dich doch einmal in einer Bücherei um: Hunderte, Tausende von Büchern, und da kommst du und willst etwas schreiben, das noch von Interesse ist?
    Die erste Lektion des Fernstudiums war verblüffend einfach. Stilübungen, Sätze zu einem guten Schluß bringen, eine kleine Geschichte zu einem Foto schreiben. Kinderleicht, fand Gaby, die vor Energie brannte, etwas zu tun. Es lenkte sie von ihren Ängsten ab. Von dem stets größer werdenden Problem mit Hubert und seinem Ultimatum: Entweder gehst du mit mir in einen Sexclub, oder ich kann dir meine Treue nicht mehr garantieren. Sie wollte nicht vierundzwanzig Stunden am Tag an die Konsequenzen seiner Forderung denken. Sie wollte etwas tun.
    Eines Nachts stand sie auf und ging nach unten. Die Probleme mit Daniel in der Schule wurden größer. Der Sieg der deutschen Fußballmannschaft über die holländische spitzte im Moment die Angelegenheit unerquicklich zu. Er war der ‘ Mof ’. Mit seiner sanften Art ein besonders willkommener Sündenbock. Warum mußte er auf diese Art und Weise lernen, wie hart und verletzend Kinder sein können? Gaby hätte ihn so gerne beschützt. Sie ging in die Küche und machte sich ein Glas warme Milch und rührte etwas Honig hinein. Auf dem Tisch lag ein Notizblock mit Einkäufen, die am nächsten Tag erledigt werden mußten. Sie riß die oberste Seite ab und begann zu schreiben. Welche Gefühle hat ein Kind von neun Jahren, wenn es in eine Außenseiterrolle gedrängt wird? Wie hatte sich Manfred vor zehn Jahren gefühlt, als er plötzlich Freunde, Schule und die vertraute Umgebung verloren hatte und in ein fremdes Land gezogen war? Ein Land, in dem er nicht die Sprache sprach und deren Menschen nicht überwältigend deutschfreundlich sind? Nach zwei Stunden war der Block vollgeschrieben.
    Müde nahm Gaby ihn mit, legte ihn unter ihr Kopfkissen und schlief das erstemal seit langem todmüde, aber zufrieden ein. Am nächsten Morgen wachte sie mit dem unbestimmten Gefühl auf, daß etwas anders war als sonst. Sie erinnerte sich blitzartig: Heute nacht hatte sie sich hingesetzt und geschrieben. Sie rieb sich die brennenden Augen, richtete sich auf und holte den Notizblock unter dem Kopfkissen hervor. Eigentlich war sie überzeugt, daß sie nach den ersten Zeilen alles in den Papierkorb werfen würde. Aber nein. Sie las und wunderte sich über den kleinen Jungen, der so mutig in die Zukunft schaute, gespannt, wie es in der neuen Heimat sein würde. Kein Zweifel, dieser Junge lebte. Es war nicht Manfred, nicht Daniel, aber dies war ein Kind von Fleisch und Blut. Den ganzen Morgen, beim Abwaschen, Putzen und Einkaufen, ging ihr der Junge im Kopf herum. Beim Einkaufen vergaß sie beinahe, daß sie Angst hatte, so sehr beschäftigte es sie, wie es weitergehen würde. Der Junge sagte Sätze, die sie amüsierten, die Mutter war zu streng, der holländische Lehrer glich Manfreds erstem Klassenlehrer. Beim Kochen, immer zwischendurch schrieb sie die Sätze auf, schüttelte ein wenig den Kopf über die strenge Mutter, lächelte mitfühlend bei den Bemühungen des Klassenlehrers. Sie schrieb. Dachte an Natalies und Manfreds Erfahrungen in den ersten Jahren in den Niederlanden und schrieb. Beide hatten sie damals in dem Alter, in dem Daniel jetzt war, die gleichen oder ähnliche Erfahrungen gemacht. Kinder können hart sein, oft grausam und plappern nach, was sie zu Hause hören.
    In jeder freien Minute schrieb sie. War das Inspiration? Gaby konnte es nicht so nennen. Da kamen keine dichterischen Höhenflüge, keine zauberhaften Wortgebilde, sie schrieb, wie es ihr in den Sinn kam und so, wie ein Kind von neun

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