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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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einem beängstigenden Groll auf die Menschheit. Daneben finden sich Stellen, die in fast rührender Art Liebeswillen verraten, Sehnsucht nach Versöhnung und Einklang. Und schließlich, sozusagen eingekeilt zwischen den Äußerungen des Hasses und der Liebe, steht das Bekenntnis zur totalen, sprach- und kompromißlosen Apathie.

    9

    Auf der Bahnfahrt Richtung Süden teilte Zündel sein Abteil eine Weile lang mit zwei hohen Offizieren der Schweizer Armee. Aus Schlafbedürftigkeit hatte er eine Fahrkarte erster Klasse gelöst, aber nun war an Schlaf nicht zu denken. Zu sehr belebte ihn die Gegenwart der beiden Männer. Sie waren so zum Greifen nah und hatten trotzdem keinerlei Befehlsgewalt über ihn! Hätte er seine Soldatenuniform getragen, so würden sie ihn aus dem Erstklaß-Abteil verjagt haben. Unter den jetzigen Umständen aber war er artig gefragt worden, ob noch zwei Plätze frei seien, und er hatte geantwortet: Ja. Vorerst lasen sie. Sie teilten sich in eine Zeitung aus der Region Zürich und tauschten die gelesenen Seiten von Zeit zu Zeit aus. Ab und zu schüttelte einer den Kopf. Zündel schaute hinauf zum Gepäckträger und betrachtete ihre Hüte: Ein Major, ein Oberstleutnant. Offiziershüte, das hatte er schon als Knabe so empfunden, führen ein fast unheimliches Eigenleben. Hüte überhaupt. Kein anderes Kleidungsstück ruht so aufreizend in sich selbst.
    Trotzdem weckt mancher Hut auch Neugier auf den Träger, aber die Köpfe der Reisegefährten verschwanden seit Zürich immer wieder hinter den Zeitungsblättern. Dafür versuchte Zündel ein bißchen mitzulesen, konnte aber aus eineinhalb Metern Distanz nur noch das entziffern, was groß und fett gedruckt war: »Auch Ihr Wohlbefinden wurzelt im Darm!« - Gerade wollte er sich über diese Behauptung ein paar Gedanken machen, da ließ der Major die Zeitung sinken, gähnte und sagte: Jaja. Darauf gähnte auch der Oberstleutnant, sagte jaja und legte seine Zeitung weg.
    Dann schwiegen beide, lehnten sich zurück und schauten sinnend zum Deckenventilator empor. Der Bless ist auch nicht mehr, was er war, sagte schließlich der Oberstleutnant. - Meiner gibt auch ab, erwiderte der Major, im Herbst wird er zwölf, und deiner? - Ein Jahr älter! Aber ein braver, anhänglicher Kerl, etwas träge halt, sein Geschwulst macht ihn auch nicht munterer. - Schmerzen? fragte der Major. - Der Tierarzt meint nein, aber man weiß ja nie. - Eben eben, bemerkte der Major, und nach einer Pause sagte der Oberstleutnant betrübt: Fressen will er auch nicht mehr. - Der Major sagte: Dem Rex geht's ähnlich, aber auf Tapsy ist er immer noch scharf. - Der Oberstleutnant: Tapsy? Wart mal, das ist doch - ist das nicht die Marke für diese Knabberknochen? Schweizer Produkt, glaube ich. - Ja, sagte der Major, aber die meine ich nicht, ich meine diese Fischstücke, luftgetrocknet, heißen auch Tapsy, es ist die gleiche Firma, übrigens eher holländisch als schweizerisch, aber ganz sicher bin ich nicht, ja also item: die ißt er sehr sehr gern. - So, sagte der Oberstleutnant, kenn ich gar nicht. - Mit viel Eiweiß, sagte der Major. - Dann verstummten sie definitiv.
    Zündel war ein wenig enttäuscht. Er hatte ein anregendes Zwiegespräch über Truppenführung oder über Landesverteidigung erwartet. Statt dessen sprachen sie über ihre Hunde und bewiesen damit wieder einmal, daß sie auch nur Menschen waren. - Vermutlich behandeln sie ihre Haustiere humaner als ihre Untergebenen, dachte Zündel und konnte sich jetzt doch noch ärgern. Er suchte den Speisewagen auf. Das Militär, sooft es ihm in irgendeiner wenn auch noch so harmlosen Form auf den Leib rückte, machte ihn rätselhaft sauer. Dabei hatte er nicht einmal viel gegen die Landesverteidigung, höchstens gegen deren Befürworter. Das Militär war ihm einfach wesensfremd. So wie es Leute gibt, die erklären, sie hätten keinen Sinn für Schnittblumen oder für Streichmusik, so hatte er keinen Sinn für Militärisches. Und mit der Zeit spürte er auch, daß ihm Männer, welche diesen Sinn besaßen, kaum jemals zusagten. Da ihm aber sonst Menschen lieb sein konnten, auch wenn sie ganz andere Neigungen als er an den Tag legten, schloß er daraus, daß die Empfänglichkeit für das Militärische - im Gegensatz etwa zur Vorliebe für konkrete Poesie oder für Leberwürste (beides mochte Zündel nicht, hatte aber Freunde, die das mochten) -, daß also diese Empfänglichkeit kein zufälliges Persönlichkeitsmerkmal sein konnte, sondern

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