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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Geschwätzigkeit verdanke ich mein Ungemach. Ich will das Gefühl, nicht das Vorgefühlte, die Tat, nicht das Buch. Ich erkläre hiermit -bis auf Abruf - die ungefilterte Wirklichkeit zu meinem Triebziel, und damit ist mir ernst. Der Geist - das steht bei aller Sympathie fest und läßt sich belegen - der Geist drosselt die Lebensfreude. Daß die Gottesanbeterin (Mantis religiosa) dem Männchen gleich zu Beginn der Paarung den Kopf abbeißt und dadurch dessen sexuelle Leistungsfähigkeit erhöht (denn der Kopf enthält kopulationshemmende Nervenzentren), ist weiter nicht verwunderlich. Kopflos lebt man spontaner.

    Zündel leert den Aschenbecher, lüftet die Stube, putzt die Zähne, wäscht sich das Gesicht, schließt die Wohnungstür ab, zieht sich aus und setzt sich ins Bett. Hinter dem Wecker entdeckt er eine von Magdas Haarspangen, er nimmt sie und schnuppert daran. Eine nach nichts rie chende Duftmarke, denkt er und schwankt zwischen Wehmut und Grimm.

    Aber eigentlich ist er seltsam getrost. Der Herr hat's gegeben, flüstert er mehrmals. Ein Versöhnungsbild steigt auf: Die Interessengemeinschaft verlassener Männer (IVM) fusioniert mit dem Verein geschlagener Frauen (VGF). Die Herzen sind aufgetaut, man schenkt einander Veilchen und samtige Blicke, und angstlos schmiegt Leib sich an Leib. Seufzend knipst Zündel das Licht aus. Er spürt: In uns rattert ein Automatismus, der selbst das verschämteste Schönheitsträumchen verunglimpft als utopischen Kitsch.

    Dann macht er nochmals Licht und steigt aus dem Bett. Die Wohnungstür vergaß ich abzuschließen, ich Trottel, ich seniler. - Draußen sieht er, daß die Wohnungstür abgeschlossen ist. Es geht wirklich abwärts, denkt er, ich habe diese Tür ja schon längst verriegelt, ich Trottel, ich seniler.

    Und Mitternacht ist auch vorüber, Entscheide sind trotz Ultimatum nicht gefallen, aber kommt es auf ein weiteres Versäumnis noch an? Wird nicht jede Schuld durch verstärkten Selbstterror hinreichend abgegolten?

    Was sie ganz am Anfang aus Liebe füreinander getan haben, daran erinnert er sich, bevor er einschläft: In seinem Junggesellenbett lagen zwei Kopfkissen, ein hartes, ein weiches. Als Magda das erste Mal bei ihm zu übernachten sich anschickte, fragte er sie, welches der beiden Kissen sie wolle. - Welches möchtest du? fragte sie zurück. Konrad sagte, obwohl er das harte klar bevorzugte, es sei ihm gleich, ihm komme es nicht drauf an. Da dachte Magda: Gewiß ist ihm das weiche lieber, nur traut er sich nicht, es zu sagen. Ich überlasse es ihm und nehme das harte, obwohl mir das weiche viel angenehmer wäre. Und sie sagte: Das harte ist mir lieber. Und er sagte: Mir das weiche, das trifft sich gut. -

    8

    Judith bezeugt, er habe ihr am Donnerstagmorgen um neun Uhr den Kater gebracht und sie in gewundenen Worten gebeten, ihn, den Kater, zu ernähren, bis Magda, die zurzeit in Bern weile, heimkomme. Er fahre südwärts. Da Konrad sehr blaß gewesen sei, auch ungekämmt und unrasiert, habe sie ihn gefragt, ob ihm etwas fehle. Er habe geantwortet, dieser Ausdruck sei schützenswert und gefalle ihm gut, aber er könne sich jetzt auf nichts einlassen, da er die Eisenbahn nicht verpassen dürfe. - Auf ihre Frage, ob Magda wisse, daß die Katze bei ihr, Judith, sei, habe er wörtlich gesagt: Es ist alles registriert.

    Tatsache ist, daß Magda, als sie am Samstag nach Hause kam, keine Ahnung hatte, wo die Katze war und wo Zündel war. Und Tatsache ist auch - dies sei hier mitgeteilt, obwohl es sich erst viel später aufklärte -, Tatsache ist, daß Schmocker gelogen hatte. Seine Schwagergeschichte war frei und heimtückisch erfunden, und von einem zweifelhaften Besucher, geschweige denn von einem Geliebten Magdas konnte zu keiner Zeit die Rede sein.

    Von Zündels Aufenthalt in Genua wissen wir nicht wenig. So schäbig und trostlos die diversen Hotels oder Absteigen waren, die er sich - einer eigentümlichen Vorliebe folgend - ausgewählt hatte (ich selbst habe mittlerweile alle einmal aufgesucht und kennengelernt), so detailliert notierte er, gerade während dieser Zeit, seine Gedanken und Erlebnisse. Die Motive, die ihn ausgerechnet nach Genua hatten reisen lassen, in diese unwirtliche, unhelle Hafenstadt, sind teilweise offenkundig: Hier war er vor dreiunddreißig Jahren gezeugt worden, und hier gedachte er auch, auf reibungslose, also illegale Weise zu einer Faustfeuerwaffe zu kommen.

    Die Aufzeichnungen dieser Woche zeugen von Vereinsamung, von

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