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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Frauen. Sie wenden sich ab, und wenn der Mann halb krepiert ist, geben sie ihm den kleinen Finger, und siehe da: der Esel saugt daran und zittert vor Dankbarkeit. So wusch er sich denn notdürftig. Er merkte, daß er immer an Magda dachte und daß er zusehends elender wurde.
    Er legte sich aufs Bett. Und erst jetzt, mit einem Schlag, realisierte er den (vermeintlichen!) Verlust seiner Frau, spürte, wie alles in ihm und um ihn mit ihr zusammenhing, spürte, daß diese Liebe es war, die ihm Kraft gegeben hatte. Und nur schärfer wurde sein Schmerz, als er innewurde, daß der verhängnisvollste, wenn auch begreiflichste aller Fehler darin besteht, einen geliebten Menschen zum alleinigen Sinnspender zu erheben. -Freilich, als Trivialtheorie war diese Einsicht ihm längst geläufig, doch was für Welten trennen das Gewußte vom leibhaft und überfallartig Gefühlten! Es ist anzunehmen, daß Zündel in sein muffiges Kissen biß und sich die Haare raufte. Daß sein Weh ihn krümmte und kaum atmen ließ. Daß er sich vorkam wie ein zerquetschter, gottverlassener Mistkäfer, Und es ist anzunehmen, daß sein Schmerz nicht zur wonnigen Sorte gehörte, die im Kopf bleibt, aber nicht in die Kehle rutscht, geschweige denn absackt in Herz und Eingeweide. - Wie töricht, wie unempfindlich und erfahrungslos sind jene Menschen, die jedes Leid als Selbstmitleid belächeln und alle Trauer verkleinern zur masochistischen Lust.

    (Ich möchte formulieren: In dieser Nacht zerbrach etwas in Zündel. - Aber Vroni, meine Frau, nimmt Anstoß daran und findet, der Satz töne gestanzt. Meinetwegen! Ich bin nur ein Pfarrherr, in meiner Sparte haben Formeln nichts Anrüchiges. Abgesehen davon schreibe ich für mich und auch für den verstummten Konrad, nicht für eine Welt, die Wohlwollen verlernt hat, nicht für eine Welt, die sprachliche Wendungen kritisiert, aber Elend duldet. - Ich bleibe dabei: In dieser ersten Genueser-Nacht muß etwas in Zündel zerbrochen sein, so allerdings, wie ein rissiger, schon vielfach geflickter Tonkrug endlich zerbricht. Zugegeben, das Bild vom Krug ist nicht sehr originell, und es gibt auch keinen Aufschluß über das zerbrochne Etwas. Es macht nur deutlich, daß brüchig war, was in die Brüche ging. Kann ich's beim Namen nennen, Konrad? Dein Vertrauen war's, dein immer zögerndes, immer enttäuschungsbereites Vertrauen in die Verläßlichkeit von Mensch und Welt. In dieser Nacht packte und schüttelte dich zum letzten Mal das Grauen der Geburt. Und es zerschlug sich vollends deine zaghafte Hoffnung, man könne auch als Abgenabelter und Ausgespuckter sich heimisch fühlen, wenn da nur Liebe sei, Frauenliebe zumal. Doch hielt sie je, was sie versprochen hatte? Stockte sie nicht immer schon im Stadium der Verheißung? Wohl: sie breitete weit die Arme aus - dann aber schlug sie zu. Und das Kind wurde bleich, begann zu würgen und kotzte violetten Brei. -)

    Am frühen Morgen erwachte Zündel in fast friedlicher Stimmung. Das Gefühl endgültig besiegelter Unzugehörigkeit schien sozusagen entschlackt von Angst und Trotz. An diesem Gefühl, an dieser hellen, einzigen Gewißheit wollte er festhalten. Und träte in Zukunft ein lebenslügnerisches Du-bist-doch-gar-nicht-allein-Geschmeichel an ihn heran und sei es in noch so betörender Gestalt: er würde sich kein Jota seines Glaubens mehr ablisten lassen. Die Welt - so dachte er nun doch ein bißchen trotzigdie Welt hat mich zum erratischen Block gemacht, sie soll sich die Zähne an mir ausbeißen. An mir zerschellen in Zukunft Weiber und Osterglocken und alles, was mich sonst noch verlogen umgurrt und umbimmelt.

    Er verschlenderte den Tag, machte sich vorläufig vertraut mit der riesigen Altstadt. Er zog durch Gassen und Gäßchen. Er genoß den allgegenwärtigen Schmutz. Er fand es ehrlich, daß der Unrat der Menschen hier so unverpackt dalag und stank. Die verwahrlosten Haustüren standen offen, verbargen nicht die noch verwahrlosteren Flure, Treppen, Hinterhöfe. Besonders gut gefielen ihm die Fassaden der Häuser. Sie gaben nichts mehr vor. Sie standen zu sich, trugen ihre in verwesende Pastellfarben sich abschattierende Armseligkeit mit Demut. Es roch überall nach allem. Zündel merkte, daß er nur viererlei Düfte benennen konnte: Frittieröl, Urin, Fisch und Kot. Manchmal zupfte ihn eine dicke, auf einem Schemel unter dem Hauseingang sitzende Dirne am Hosenbein, verwittert auch sie. Brandmager waren die Katzen.
    In der Hauptgasse gramselte es von Menschen.

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