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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Magda ohne Begeisterung. - Ja, antwortete er trotzig. - Koni, bist du krank? - Ich erzähl dir dann alles, sagte er besänftigt.

    Im Bahnhofbuffet merkte er, daß es ihm schlecht ging. Das Telefongespräch hatte ihn geschwächt. - Immer häufiger krümmt sich alles in mir, wenn ich mich reden höre. Ich bin müde. War Magda allein? Pausenlos muß man sich bewähren. Alles ist feindlich, alles, was mir begegnet, überfordert mich. Ausgerechnet mir schickt der Herrgott einen Finger. Mir nimmt man den Zahn. Beizeiten lernt jeder, sich untragbar zu finden. Die Menschheit rekrutiert sich aus ehemaligen Bettnässern, die das Ge-
    fühl existentieller Deplaziertheit nie loswerden. Ohne Schließmuskel keine Schwermut. Wie ahnungslos wird hier Kaffee geschlürft. -

    Für die Bahnfahrt hatte er eine deutsche Zeitung gekauft und sich auf die Lektüre gefreut. Aber schon das Wort ›Maßnahmenpaket‹ nahm ihn fast bis Como in Anspruch. Jenseits der Landesgrenze verweilte er lange bei der Bezeichnung ›Sattelgriff mit Antirutschnoppen‹. Auch darin sah Zündel eine imponierende Gegenposition zu seinem Lebensgestolper.

    Bis Göschenen döste er.
    Dann las er einen Artikel über Eingeweidewürmer. Hier fand er eine späte Erklärung für die Juckreize, die ihn als Kind, kaum daß er im Bett lag, so häufig zum Kratzen genötigt hatten: Die weiblichen Oxyuren (Madenwürmer) kriechen nämlich nachts ein bißchen heraus und legen ihre Eier vor den Ausgang.

    In Arth Goldau stieg ein Fräulein zu. Bis jetzt hatte Zündel das Abteil für sich gehabt. Als die Frau ihre Tasche auf die Gepäckablage stellte, sah er, daß ihre Hose den Markennamen »Let's go« trug. Die Jeans, die er selbst im Moment anhatte, hießen »Happy-Life«. Zündel dachte: Fräulein, unsere Hosen sind geistesverwandt. - Sie aber setzte sich und sagte: Überall wird man angequatscht. Zündel bekam Gänsehaut. Hatte er laut gedacht? Stand es schon so mit ihm? - Seit Altdorf, erläuterte sie, werde ich von zwei Italienern belästigt, drum hab ich das Abteil gewechselt. - Ach so, sagte er und fügte bei: Ja, es gibt eben allerhand Kostgänger auf der Welt. - Diese Redewendung, die von Zündels Großvater stammte, schien ihr unvertraut, jedenfalls warf sie ihm einen verdutzten Blick zu und vertiefte sich sofort in eine Zeitschrift.
    Zündels Sympathie gehörte den beiden unanständigen Italienern. Längst hatte er bemerkt, daß die Frau keinen BH trug und darüber eine nahezu durchsichtige Bluse. Ich sehe solche Dinge zwar nicht ungern, wahrscheinlich sogar gern, dachte er, aber ich hasse sie auch, und wenn ich gesetzgeberische Befugnisse hätte, würde ich vielleicht einen Freizügigkeitsstop anordnen. Heutzutage wird nämlich alles geschützt, nur der Mann nicht. Als müßte er sich nicht schon genug zusammennehmen, sich beherrschen, sich bezwingen! Und jetzt tauchen noch diese Sommermädchen auf und halten das, was uns Männern ein unzumutbares Maß an Selbstkontrolle abverlangt, für natürlich und freiheitlich. - Das alles und noch viel mehr will ich gelegentlich überdenken, nahm Zündel sich vor, schaute bis Zürich aus dem Fenster und ärgerte sich über die schauderhafte Gepflegtheit der Schweiz. Die Stadt sieht aus, als leckte eine Million Zungen sie unaufhörlich sauber. Schick sind die Leute gekleidet, einige auch mit Sorgfalt schlampig. Breitspurig ist ihr Dialekt, verkrampft und schief ihr Gang, und ich bin ein alter Griesgram, da kommt mein Tram.

    4

    Im Treppenhaus erst begann sich Zündel auf Magda einzustellen. Nach fünf Jahren Ehe noch Herzklopfen - das soll mir einer nachmachen! Am liebsten wäre mir jetzt ein Lauch-Auflauf, ein wenig enttäuschen würden mich Ravioli. Seltsam, an der eigenen Wohnungstür zu klingeln! Streng genommen demütigend. Vor allem, wenn niemand öffnet. Sicher ist sie unter der Dusche, wo hab ich meinen Schlüssel.

    Lieber Konrad, ich vergaß Dir zu sagen, daß ich heute abend Frauengruppe habe. Du mußt nicht aufbleiben. Schlaf gut. M. Mit dem Zettel in der Hand wanderte Zündel durch die Wohnung. Auf keinem Tisch stand ein Tellerchen für ihn bereit. Nur im hellgrünen Plastiknapf auf dem Küchenboden lagen ein paar Klümpchen Katzenfutter. -Vor einem Jahr noch hätte ich mir in dieser Lage leidgetan, mittlerweile habe ich dazugelernt, dachte er und kämpfte mit den Tränen. Er aß eine Birne.

    Später lag er im Vollbad, aber er sang nicht. Er sprach: Meine Damen und Herren, wer im Vollbad singt, ist ein

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