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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Bett, sie alle faseln verstockt von Wärme und Geborgenheit, und jeder nüchterne Mitbürger, Herr Zündel, erkennt diese verzärtelten Zeitgenossen schon von weitem an ihrem schlabberigen Habitus. Zündel ließ heißes Wasser nach und entgegnete: Mein reifer Herr, es macht mich traurig, daß ich mit Ihresgleichen noch immer spreche. Über dreißig bin ich jetzt, und noch immer fehlt mir der Anstand, den Kontakt zu Ihnen, zu Ihresgleichen, zu Euresgleichen, zu Euch namenlos monströsen Menschen abzubrechen. Kantig und kühl, zackig und selbstgerecht, stramm und mannhaft stampft Ihr nieder, was Eurem Todeskult nicht huldigt, Ihr Mumien, Ihr Raupenfahrzeuge, Ihr Nordpolhalunken. Wahrlich ich sage Euch: Eher noch kommt Zartes durchs Leben als Hartes ins Himmelreich.

    Aber, dachte Zündel, indem er den Stöpsel herauszog, aber vermutlich habe ich den Mund soeben etwas voll genommen. Weder kommt Zartes durchs Leben, noch kommt Hartes nicht ins Himmelreich. Die himmlischen Heerscharen, mit denen unser Vater sich umgibt, sind ja eben Heerscharen, und das tönt wenig weich. Und im Grunde genommen darf niemand ihm verargen, wenn er jene Beherzten vorzieht, die seiner Schöpfung Positives abgewinnen, sie als Prüfung zwecks Hautverdickung interpretieren, als Tummelplatz spannender Überlebenskämpfe mit Aufstiegschancen der ganz Tapferen. Sollte unser Vater etwa den Mühseligen Einlaß gewähren, die seinen Kosmos ein Leben lang bemäkelten, ihn frostig schalten? Gehören geknickte Querulanten in den Himmel? Sind flügellahme Melancholiker als Engel tragbar? Gibt es für sie alle nicht ein Ortchen, wo ihre Gier nach Wärme mehr als gestillt wird, wo tausend Feuer flackern?

    Als Zündel aus der Wanne stieg, dachte er: Ich verstehe wenig, doch möchte ich nichts mehr verstehen. Eines Tages möchte ich erwachen und spüren: Ab heute ist Schluß, ab heute wird nichts mehr begriffen. Das Ende der Billigung ist da. Das Ende der Verdammung ist da. Ich möchte auf einer Bank sitzen in einem Park und sagen können: Mir fällt zu allem nichts mehr ein.

    5

    Am gleichen Abend, gegen halb zehn, läutete das Telefon bei uns. Vroni nahm ab, streckte mir aber sofort den Hörer hin und flüsterte: Für dich, Viktor, es ist Konrad. Da ich Zündel schon über alle Berge glaubte, war ich erstaunt. Er sagte: Ich höre, daß ich störe, es tut mir leid, telefonieren ist ein entsetzliches Risiko. - Ich freu mich, daß du anrufst, Konrad, du störst überhaupt nicht. -Man stört immer, entgegnete er, man stört von Geburt an. - Ich sagte: Was du da behauptest, ist so erläuterungsbedürftig, daß ich dich am liebsten gleich sehen würde, bist du zu Hause? - Ja, sagte er, aber sicher wolltest du gerade ins Bett, du hast schließlich keine Ferien! (Auffallende Technik Konrads: Er schützte sich vor dem Schmerz einer möglichen Abweisung so, daß er sie innerlich vorwegnahm, indem er dem anderen Bedürfnisse auf-
    nötigte, die eine Abweisung nahelegten, begreiflich machten und rechtfertigten.) - Du weißt doch, beruhigte ich ihn, daß ich selten vor Mitternacht schlafen gehe. - Er: Wenn die Menschen... - Zündel stockte. Ich sagte: Wenn die Menschen? - Er: Wenn die Menschen..., wenn, ich meine, ich überlege gerade, eigentlich ist es so: wenn die Menschen, wenn sie erklären, mit mir oder bei mir sein zu wollen, wenn sie also bereit sind, mich zu treffen, dann können sie theoretisch drei, drei... - Wieder brach Konrad ab, und ich fragte: Ja, drei was? - Ach Scheißdreck, sagte er, es stimmt gar nicht, also, hör, dann kann ich noch auf einen Sprung vorbeikommen? -

    Es wurde elf, bis Zündel eintraf. Noch im Hausflur sagte er: Unglaublich, was uns angetan wird, aber wir schlucken das ja! - Wein oder Bier? fragte ich ihn und schubste ihn behutsam in die Stube. - Schnaps! rief er, ist Vroni schon im Bett? - Ja, sie läßt dich herzlich grüßen, sie war sehr müde. - Soso, herzlich, murmelte er, soso, ich bin auch immer müde, ich bin immer immer müde, hunderttausend Stunden lang möchte ich anschlafen gegen den Weltlauf. - Kirsch, Whisky oder Cognac? fragte ich ihn. - Wein, sagte er.
    So, alter Konrad, gut, daß du da bist, worauf stoßen wir an? Auf die Liebe? - Ach geh, sagte er, wie kommst du denn darauf? - Du nanntest sie doch gern eine tropische Insel im Eismeer! - Ich? fragte er, wirklich? Kitschbruderschwachsinn! Die Liebe ist natürlich eine lange Angst, abgerechnet jenes spitze Lüstchen dann und wann. - Ist etwas mit Magda? fragte ich. -

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