Zuflucht Im Kloster
wie es weiterging: Sobald er gegangen war, oder vielmehr: sobald ich dachte, er sei gegangen, öffnete ich den Geldkasten wieder, und als ich mich darüber beugte, um Margerys Mitgift hineinzulegen, bekam ich einen Schlag auf den Kopf, und das ist das letzte, an das ich mich erinnern kann, bis ich Stunden später in meinem Bett wieder aufwachte. Das geschah höchstens zwei Minuten nachdem der Bursche hinausgegangen war. Wer sonst also könnte es gewesen sein?«
»Ihr habt also nicht gesehen, wer Euch niedergeschlagen hat?« hakte Beringar nach. »Nicht einmal für einen kurzen Augenblick? Keinen Schatten, der die Größe oder Gestalt des Täters verraten könnte? Habt Ihr nichts bemerkt, als er hinter Euch trat?«
»Nein, ich habe nichts gesehen.« Aurifaber mochte rachsüchtig sein, aber er war ehrlich. »Ich hatte mich über den Geldkasten gebeugt, als es mit einem Mal schwarz um mich wurde, und ich brach zusammen und sank mit dem Kopf in den Kasten. Ich habe nichts gehört und nichts gesehen, nicht einmal einen Schatten – das letzte, das ich sah, war das Flackern der Kerze, aber was hat das schon zu bedeuten?
Trotzdem bin ich ganz sicher, daß der Bursche das Gold gesehen hatte, bevor ich den Deckel zuschlagen konnte. Und dann soll er brav seiner Wege gegangen sein, wo er doch all das Geld hier rauben konnte? Nein! Kein anderer als er war in jener Nacht hier, und ich wette, daß es dieser Gaukler war, der mein Geld geraubt hat.«
»Es könnte so gewesen sein«, gab Beringar zu, als er sich etwa zwanzig Minuten später an der Brücke von Cadfael verabschiedete. »In dem Kasten war genug Geld, um einen armen Teufel, der bloß zwei armselige Münzen besaß, in Versuchung zu führen. Vielleicht ist ihm dieser Gedanke erst gekommen, als er im Licht der Kerze sah, wieviel Gold unser Freund gehortet hatte. Es kann natürlich ebensogut sein, daß der Junge gar nicht wußte, welche Gelegenheit sich ihm bot, und nur an seine eigene Not dachte und an die Möglichkeit, der Goldschmied könnte vielleicht leichter zugänglich sein als seine hartherzige Mutter. Es kann sein, daß er davongeschlichen ist und Gott für den Penny gedankt hat, ohne an irgend etwas Böses zu denken. Es kann aber auch sein, daß er mit einem Stein oder einem Stock zurückkam.«
Etwa zur selben Zeit trafen Daniel und Margery Aurifaber auf der Straße vor der Marienkirche, wo am Sonntag nach der Messe Höflichkeiten ausgetauscht und neueste Moden begutachtet wurden, zahlreiche Bürger von Shrewsbury, die ihnen gratulierten und Beileid wünschten, denn die Hochzeit und der Raubüberfall standen in Shrewsbury gleichermaßen im Mittelpunkt der Gespräche und Spekulationen. Auch Meister Alwin Corde, der Wollhändler, und seine Frau Cecily kamen auf sie zu, um ihnen, wie es sich für Freunde und Nachbarn gehörte, einen guten Morgen zu wünschen.
Frau Cecily wirkte eher wie eine Tochter oder sogar eine Enkelin des Kaufmanns als wie seine Frau. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt, er aber sechzig, und obwohl klein und zierlich, war ihre ganze Erscheinung infolge ihrer Haarfarbe, ihrer Figur, ihres Gangs und aller anderen Merkmale, die das Auge auf sich ziehen können, so außergewöhnlich, daß sie so ehrfurchtgebietend wie eine Göttin wirkte und jede Gesellschaft, die sie mit ihrer Anwesenheit beehrte, dominierte. Ihrem Mann gefiel es, seine Frau mit Kleidern aus extravaganten Stoffen auszustatten, anstatt sie dazu anzuhalten, sich zurückhaltend zu kleiden. Ihr volles, kastanienbraunes Haar wurde von einem vergoldeten Netz gehalten, und eine große, mit Edelsteinen besetzte Emaillebrosche zog den Blick auf einen vollendet geformten Busen.
Vor dieser Frau verblaßte Margery, und sie wußte es. Ihr Lächeln wurde starr wie das einer Maske, und ihre Stimme bekam einen falschen Klang wie die einer Sängerin, die gezwungen ist, in einer Tonart zu singen, die nicht die ihre ist.
Sie packte Daniels Arm fester, aber es war, als versuche sie einen Fisch festzuhalten, der durch ihre Finger schlüpfte, ohne überhaupt zu merken, daß man versuchte, ihn festzuhalten.
Meister Corde erkundigte sich besorgt nach Walters Zustand, war erleichtert zu hören, daß die Gesundheit des Goldschmieds gute Fortschritte machte, zeigte sich jedoch betrübt darüber, daß bis jetzt noch jede Spur von der Beute dieses niederträchtigen Überfalls fehlte. Er dankte Gott, daß die Familie Aurifaber von keinem Todesfall betroffen war, und ließ seine besten Genesungswünsche
Weitere Kostenlose Bücher