Zuflucht Im Kloster
ging, noch ganz benommen, hinaus in den frühen Abend. Im Osten färbte sich der helle, blaßblaue Himmel dunkler. Liliwin fühlte sich so leicht und erfüllt, wie es der ganze Tag gewesen war. Es war ihm, als liege vor ihm eine neue Hoffnung, ein neues Leben. Seine Holzbälle und -ringe, die unter seiner zusammengefalteten Decke in der Vorhalle der Kirche lagen, fielen ihm ein. Auch das Jonglieren gehörte zu den Künsten, die er beherrschte, und wenn er nicht übte, würde er es bald verlernt haben. Die Ereignisse dieses Tages hatten ihm so viel Auftrieb gegeben, daß er sein Bündel holte und frohgemut damit in den Garten ging, der sanft bis zu den Erbsenfeldern am Meole-Bach abfiel und verlassen war. Liliwin knotete das Bündel auf, nahm die sechs Holzkugeln und die Ringe heraus und begann, damit zu jonglieren und die Schnelligkeit seiner Hände und seiner Augen zu erproben.
Er war noch steif von seinen Verletzungen und machte anfangs viele Fehler, aber nach einiger Zeit kehrten die alte Leichtigkeit und seine Freude darüber, daß er seine Kunst wirklich beherrschte, wieder zurück. Seine Fähigkeiten mochten zwar sehr bescheiden sein, aber dennoch war das, was er tat, seine Leistung, und er war stolz darauf. Ermutigt legte er die Bälle und Ringe beiseite und erprobte die Gelenkigkeit seines dünnen, drahtigen Körpers, indem er sich auf groteske Weise verrenkte. Zwar schmerzten ihn seine Muskeln an den Stellen, wo er Schläge und Tritte hatte einstecken müssen, aber er war entschlossen, nicht aufzugeben, und zwang sich, weiterzumachen. Zum Abschluß schlug er Räder bis zum Rand des Erbsenfeldes, rollte sich dann zusammen und kugelte bis zum Bachufer und sprang anschließend mit Überschlägen den sanft geneigten Hang wieder hinauf bis zu der Stelle, an der er seine Kugeln und Ringe abgelegt hatte.
Hier, wo der Gemüsegarten und der von einer Hecke umgebene Kräutergarten begannen, streckte er sich, ganz außer Atem und sehr mit sich zufrieden – und bemerkte jetzt erst die Anwesenheit eines grimmig dreinblickenden Mönches, der fast so schmächtig war wie er selbst und nur einige Schritte von ihm entfernt stand. Erschrocken sah er in ein Augenpaar, das ihn zornig anstarrte.
Bruder Jerome war ehrlich empört. »Beweist du so deine Achtung vor diesem heiligen Bezirk?« fuhr er Liliwin an.
»Ziemen sich diese Leichtfertigkeit, diese Narrheiten in unserem Kloster? Bist du so wenig dankbar dafür,, daß man dir hier Zuflucht gewährt hat? Wenn du es so wenig zu schätzen weißt, verdienst du kein Asyl. Wie kannst du es wagen, diesen Ort Gottes so zu entweihen?«
Liliwin sank in sich zusammen, sah zu Boden und stammelte atemlos: »Ich wollte niemanden beleidigen. Ich bin ja dankbar, und ich will nicht, daß Ihr glaubt, ich hätte keine Ehrfurcht vor diesem Kloster. Ich wollte doch nur sehen, ob ich meine Kunst noch beherrsche. Ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt, und das bedeutet, daß ich ständig üben muß. Verzeiht mir, wenn ich etwas Unrechtes getan habe!« Hier, wo er in der Schuld des Abtes und der Mönche stand und immer im Zweifel war, wie er sich verhalten sollte, war er leicht einzuschüchtern.
Das kurze Aufwallen der Lebensfreude und die Erfüllung, die die Musik ihm gegeben hatte, waren mit einem Mal dahin. Er, der eben noch so gelenkig gewesen war, erhob sich jetzt unbeholfen und stand zitternd, mit hängenden Schultern und niedergeschlagenen Augen da.
Da Bruder Jerome der Schreiber des Priors war und körperliche Arbeit verabscheute, hatte er nur selten im Garten zu tun. Im großen Innenhof hatte er das hierorts höchst ungewöhnliche Geräusch von in der Luft zusammenstoßenden Holzkugeln gehört und war ohne Argwohn gegangen, um nachzusehen, was es damit auf sich hatte. Als er aber, hinter der Hecke verborgen, die Cadfaels Kräutergarten umgab, die Vorstellung sah, hatte er Liliwin nicht sogleich unterbrochen und ihn über seine Übertretung aufgeklärt, sondern war in seinem Versteck geblieben und hatte seinen Ärger aufgestaut, bis der Übeltäter seine Übung beendet hatte. Möglicherweise trug die Tatsache, daß er sich selbst ein wenig schuldig fühlte, dazu bei, daß die Vorwürfe, die er dem jungen Mann machte, so heftig ausfielen.
»Du solltest dich lieber Gebeten und der Erforschung deiner Seele widmen, als diesen Torheiten«, sagte er mit schneidender Stimme. »Ein Mann, der einer so schweren Anklage entgegensieht wie du, sollte sich zuerst um sein Seelenheil sorgen, denn
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