Zuflucht Im Kloster
ansprach.
»Etwa eine Stunde nach der Komplet warst du also vor der Werkstatt?« Wenn man sich eines Feindes entledigen will, so tut man das mit Vorliebe nachts, und dies war die Nacht nach jenem Tag gewesen, an dem man Baldwin Peche zum letzten Mal lebend gesehen hatte.
»Ja, ich blieb, bis sie im Haus verschwunden war. Wenn ich nur wüßte, wie sie dort empfangen wurde. Ihre Herrin hatte ihr gesagt, sie dürfe den ganzen Tag fortbleiben. Ich hoffe, daß sie keine Schwierigkeiten bekommen hat.«
»Nun…, da du dort warst, ist dir vielleicht irgend jemand oder irgend etwas aufgefallen?«
»Es kam jemand aus dem Haus«, erinnerte sich Liliwin. »Das war, nachdem Rannilt hineingegangen war. Ich stand auf der anderen Seite der Gasse in einem dunklen Hauseingang, und Daniel Aurifaber trat aus dem Durchgang und ging nach links die Gasse hinunter. Er muß bald abgebogen sein, denn als ich zur Kreuzung und weiter zum Stadttor ging, war er schon wieder verschwunden. Ich habe ihn nicht mehr gesehen.«
»Daniel? Bist du sicher, daß er es war?« Der Sohn des Goldschmieds war am Nachmittag zur Stelle gewesen, kaum daß die jungen Müßiggänger gesehen hatten, daß neben der Brücke ein Leichnam an Land gebracht wurde. Sehr schnell und sehr entschlossen hatte er sich zum Wortführer derer gemacht, die, ohne Vernunft oder Asylrecht gelten zu lassen, die Schuld an diesem wie auch am anderen Verbrechen einem Fremden in die Schuhe schoben.
»Ja, natürlich, er war es unverkennbar.« Liliwin war überrascht, daß das so bedeutsam zu sein schien. »Ist das wichtig?«
»Es könnte wichtig sein. Aber lassen wir das. Eines hast du mir noch nicht erklärt«, sagte Cadfael ernst, »und dabei bin ich sicher, daß du darüber nachgedacht hast: Da du ja unbemerkt aus dem Kloster geschlüpft warst und die ganze Nacht noch vor dir lag, hättest du doch fliehen und dich vor deinen Verfolgern in Sicherheit bringen können. Warst du nicht in Versuchung?«
»Dasselbe hat sie auch gesagt«, antwortete Liliwin und lächelte. »Sie redete mir zu, ich solle fliehen, solange ich Gelegenheit dazu hätte.«
»Und warum hast du das nicht getan?«
Weil sie nicht wirklich will, daß ich gehe, dachte Liliwin, und trotz all seiner Sorgen und Nöte wurde ihm ganz leicht ums Herz. Und weil sie, wenn sie je meine Frau wird, nicht einen Mann haben soll, der als Verbrecher gesucht wird, sondern einen, dessen Unschuld vor aller Welt erwiesen ist. Laut sprach er jedoch nur den Kern dessen aus, was er gedacht hatte:
»Weil ich flicht ohne sie von hier fortgehen will. Wenn ich gehe – wenn ich gehe–, werde ich Rannilt mitnehmen.«
8. Kapitel
Mittwoch
Am nächsten Morgen, nach der Kapitelversammlung, suchte Hugh Beringar Bruder Cadfael in seinem Gartenhaus im Kräutergarten auf, um sich mit ihm zu beraten.
»Sie sind sich alle einig«, sagte Beringar und lehnte sich, einen Becher von Cadfaels Wein in der Hand, bequem zurück.
Über ihm hingen an der Wand die getrockneten Kräuterbüschel, die im letzten Jahr geerntet worden waren. »Alle sind fest davon überzeugt, daß dieser Tod etwas mit den Vorfällen bei der Hochzeit des jungen Mannes zu tun haben muß. Aber da die ganze Aurifaber-Familie nur an Geld, an ihr Geld, denkt – mit Ausnahme der Tochter vielleicht, die ihren Mund sehr vielsagend verzieht, aber nichts gegen ihre Familie sagt-, kann keiner von ihnen an etwas anderes denken als an den Verlust, den sie erlitten haben. Und sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, daß andere es ebenso auf Geld abgesehen haben wie sie. Aber es gibt rechtschaffenen und unrechtschaffenen Profit, und das Geschäft dieses Schlossers ging nicht schlecht.
Jetzt ist kein Verwandter da, der es übernehmen könnte, und jedermann scheint zu wissen, daß der Mann die Absicht hatte, die Werkstatt seinem Gesellen zu übergeben. Dieser junge Boneth hat seit über zwei Jahren fast die ganze anfallende Arbeit erledigt und sich damit ein Anrecht auf das Geschäft verdient. Allem Anschein nach ist er so ehrlich und arbeitsam, wie man es sich nur wünschen kann, aber wer weiß, ob ihm die Zeit nicht ein wenig zu lang geworden ist? Und auch etwas anderes sollten wir nicht vergessen: Es war Baldwin Peche, der Schloß und Schlüssel für Aurifabers Geldkasten angefertigt hat.«
»Da ist ein Junge, den er Botengänge machen und in der Werkstatt schlafen ließ«, sagte Cadfael. »Habt Ihr von ihm irgend etwas erfahren?«
»Ihr meint den schwarzhaarigen Jungen, den
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