Zuflucht im Teehaus
Stimme.
»Aber sein Bruder sagt …«
»Sein Bruder?« wiederholte ich. Hugh nahm mir den Hörer aus der Hand, und ich stand auf, um mich anzuziehen. Ich hatte Angus an der Haltestelle fünftausend Yen gegeben. Kozo hatte gesagt, Angus wolle die Begleichung einer Rechnung über elf tausend Yen nicht übernehmen. Selbst für Tokioer Verhältnisse war das eine ganze Menge Geld. Ich stellte mir lieber nicht vor, wie betrunken Angus war.
Der Club Isn’t It befand sich im oberen Stockwerk eines kleinen Nachtklub-Hochhauses, das ganz typisch für Roppongi war. Wir fuhren mit einer Gruppe japanischer Mädchen mit knöchellangen Kleidern und über zehn Zentimeter hohen Plateausohlen in einem winzigen Aufzug hinauf. Schwer zu sagen, wer hier fehler am Platz war: ich mit meinem kurzen Baumwollsommerkleid oder Hugh mit seinem schicken, aber gediegenen Anzug von Paul Smith.
Drei stämmige Amerikaner, die aussahen wie Angehörige der Marines, durchsuchten Hughs Lederaktentasche nach Waffen und Schmuggelware, bevor sie uns hineinließen. Der Eintritt war frei, aber jedes Getränk kostete tausend Yen. Ich bahnte mir einen Weg durch eine Gruppe grünhaariger Kids, die die Hüften zu einem Song von Prince kreisen ließen. Mir fiel wieder ein, daß ich im Tokyo Journal über eine Reihe von Drogenrazzien in diesem Lokal gelesen hatte.
Angus saß an der Bar, und als er uns entdeckte, winkte er uns mit großer Geste zu sich. »Dad und Mum. Danke, daß ihr gekommen seid.« Von seiner geschwollenen Lippe tropfte ein bißchen Blut. Offenbar hatte ihn jemand verprügelt.
Der Türsteher, der ihn bis dahin bewacht hatte, trat einen Schritt beiseite und wandte sich an Hugh. »Er wollte sich verkrümeln, ohne zu zahlen. Ist der Kerl mit Ihnen verwandt?«
»Ich bin nur gekommen, um die Rechnung zu begleichen, nicht mehr und nicht weniger«, sagte Hugh. Der Griff, mit dem er meine Hand umschloß, war fester, fast schon schmerzhaft, geworden. Er mußte sich sehr zusammenreißen, um nicht in die Luft zu gehen.
»Er hat Glück, daß Kozo Sie kennt. Ich hätte ihm eine ordentliche Abreibung verpaßt, wenn Kozo mich nicht zurückgehalten hätte.«
»Dann könnten Sie sich jetzt nach einem Anwalt umsehen«, sagte Hugh. »Sie haben Ihre Arbeit getan. Nun können Sie verschwinden.«
»Hugh-san, entschuldigen Sie vielmals.« Kozo eilte mit einer Verbeugung auf uns zu. In dieser Umgebung wirkte die Geste fast ein bißchen antiquiert. »Ich bin mir sicher, daß Ihr Bruder die Preise nicht richtig verstanden hat …«
»Alle möglichen Leute sind um mich rumgeschwirrt und haben sich Drinks bestellt. Ich dachte, jeder zahlt für sich selbst, aber da habe ich mich offensichtlich getäuscht.«
»Was ist denn aus deinen japanischen Freundinnen geworden?« erkundigte ich mich. Die jungen Frauen waren gut gekleidet gewesen; sie hatten sicher Geld.
»Wer? Ach, du meinst die Mädels aus dem Zug. Die sind schon vor Stunden heim; denen hat die Atmosphäre hier nicht gefallen.«
»Kozo, wie hoch ist die Rechnung?« fragte Hugh.
»Elftausend Yen.«
»Ich lege noch was drauf für den Ärger, den Sie und die anderen gehabt haben. Aber das Schwein, das meinen Bruder geschlagen hat, bekommt nichts.«
Der Rausschmeißer brummelte etwas, aber nach einem scharfen Blick von Kozo trollte er sich zur Tür.
»Möchtet ihr was trinken?« fragte Angus seinen Bruder mit undeutlicher Stimme.
Der Wutausbruch, den ich erwartet hatte, kam nicht. Statt dessen sagte Hugh mit einem Seufzer: »Gern. Aber daheim.«
Das einzige, was Hugh während der Heimfahrt zu Angus sagte, war, er solle einen Eisbeutel aufs Auge legen, wenn er auf der Party halbwegs vorzeigbar aussehen wolle. Aber er sagte nichts über das Geld, das Angus auf den Kopf gehauen hatte, oder über die blöde Situation, in die er da geraten war.
»Die Leute haben ’nen Knall – tausend Yen für ein Budweiser! Acht Dollar. In Thailand hat das Bier fünfzig Cents gekostet. Da hätte ich bleiben sollen. Noch eine Woche, und ich bin pleite«, beklagte Angus sich vom Rücksitz aus.
»Darüber mußt du dir nicht den Kopf zerbrechen, Bruderherz. Ich freu mich, daß du hier bist.« Hugh stieß mich in die Rippen, damit ich auch etwas sagte. »Und damit du nicht wieder in so eine Situation gerätst, gebe ich dir meine Scheckkarte.«
»Das wäre super. Sagst du mir die Geheimzahl? Gibst du sie mir gleich?«
»Wie lange willst du bleiben?« fragte ich Angus, ohne mich nach ihm umzudrehen.
»So lange es
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