Zuflucht im Teehaus
verschwitzt betreten. Das verstößt gegen die buddhistischen Regeln«, sagte sie.
»Ich gehe nicht rein. Angus wartet sicher schon auf mich.«
»Wie Sie meinen.« Sie rümpfte verächtlich die Nase.
»Die Party ist am Samstag. Sie wollen doch immer noch kommen, oder?« fragte ich.
»Vielleicht. Das hängt von meinen Terminen ab.«
Allzu viele Termine schien sie mir nicht zu haben, aber das sagte ich lieber nicht. Schließlich hatte ich mich auch mit einer Lüge ums Duschen herumgedrückt.
Angus plauderte mit einem Japaner, der ein langes, indigofarbenes Gewand trug, in dem hölzernen Flur, der außen um den Eingangsbereich herumführte. Der Priester sah mit seinem kahlrasierten Kopf und den lebhaften Augen alterslos aus. Zu meinem Schrecken bemerkte er mich und winkte mich zu ihnen heran.
»Shimura-san, kommen Sie doch! Der junge Mann hat mir gerade erzählt, daß Sie zusammen mit meiner Tochter trainiert haben!«
Der Priester, der so gut Englisch sprach, war zweifelsohne Akemis Vater, der Klostervorsteher und Tempeleigentümer.
»Es tut mir leid, Sie zu stören«, sagte ich, zog meine Laufschuhe aus und hoffte, meine Socken würden keine feuchten Abdrücke auf den glatten Zedernholzstufen, die zum Tempel führten, hinterlassen.
»Wir hatten einen Notfall!« Angus wirkte erregter, als ich ihn je gesehen hatte. »Unser Priester ist bei der Meditation umgekippt.«
»Er spricht von meinem Neffen. Angus-san hat ihm das Leben gerettet«, sagte Mr. Mihori.
»Ja, das war der pure Wahnsinn«, fuhr Angus fort. »Wir sind alle im Schneidersitz gesessen und haben in unsere Seelen geschaut oder so was Ähnliches, da ist es plötzlich ganz still geworden. Die anderen waren wohl alle in Trance – jedenfalls hab ich als einziger gemerkt, daß der Priester umgefallen ist. Zuerst dachte ich, na ja, vielleicht gehört das ja zum Ritual.«
»Zum Glück hat Angus-san seine Augen und seinen gesunden Menschenverstand gebraucht. Er hat die Meditationsgruppe verlassen, um Hilfe zu holen«, sagte Mr. Mihori.
Also war Angus jetzt ein Held. Dazu würde ich ihm später gratulieren; im Augenblick machte ich mir mehr Gedanken über Kazuhitos Gesundheit. Erst jetzt wurde mir klar, daß die Sirene, die ich gehört hatte, ihm gegolten hatte.
»Was ist passiert?« fragte ich.
»Mein Sohn hatte eine jener durch Diabetes ausgelösten Ohnmachten, unter denen er schon seit seiner Jugend leidet. Ich habe immer ein Getränk mit besonders hohem Zuckergehalt in meinem Büro, und nachdem ich es ihm verabreicht hatte, ist er wieder zu sich gekommen. Die Sanitäter haben ihn ins Krankenhaus gebracht. Ich bin gerade auf der Suche nach meiner Tochter, die mich hinfahren soll.«
Diabetes war eine ernste Sache. Ich mußte an Nomu Ideta, den alten, bettlägrigen Mann in Denen-Chofu, denken. Mr. Mihori wirkte ausgesprochen ruhig für einen Mann, dessen Alleinerbe gerade knapp dem Tod entronnen war.
»Sie haben mich zu einem wilden Fest eingeladen«, riß Angus mich aus meinen Gedanken.
»Das Tanabata-Fest«, erklärte Mr. Mihori. »Die Feiern in Kamakura sind nicht so großartig wie anderswo, aber dafür ist die Atmosphäre meiner Ansicht nach malerischer. Wir veranstalten eine Floßparade entlang des Ufers, und im Hachiman-Schrein gibt es Bogenschießen und Tanz …«
»Klingt ganz in Ordnung, solang’s nicht zu viel von dem religiösen Zeug gibt«, meinte Angus.
Ich wurde rot, weil mir Angus’ Antwort peinlich war, aber Mr. Mihori reagierte gelassen. »Es wird Sie freuen, daß dieses Fest weltlich ist, eine Mischung aus japanischen und chinesischen Sagen. Grundlage ist die Geschichte von zwei Sternenliebhabern«, sagte Mr. Mihori. »Sie beginnt mit der Prinzessin Orihime, die auf einem Stern lebte und dort als Weberin arbeitete. Ihr Vater, der Herrscher des Himmels, sorgte dafür, daß sie einen gutaussehenden Kuhhirten kennenlernte, der auf einem anderen Stern auf der Westseite der Milchstraße lebte. Als sie sich trafen, verliebten sie sich so heftig ineinander, daß Prinzessin Orihime ihre Webarbeiten vernachlässigte. Ihr Vater war wütend und trennte die beiden. Sie dürfen sich nur einmal im Jahr sehen, am siebten Juli. An diesem Tag bauen die Vögel eine Brücke über den Fluß des Himmels, so daß die Liebenden sich treffen können. Aber darüber werden Sie am Abend des Festes mehr erfahren. Werden Sie dann noch bei Ihrem Bruder in Tokio sein?«
»Ich bleibe hier, so lange Rei es mit mir aushält.«
» Ah so desu ka? «
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