Zuflucht im Teehaus
Abend, an dem der Mord passiert ist. Das war schlecht für uns alle. Hassan ist von einem faschistischen Polizisten schikaniert worden.«
Der breite blaue Vorhang, der den Blick auf die Küche des Cafés versperrte, bewegte sich nun, und eine Stimme sagte auf englisch: »Ich erinnere mich an Sie.«
Der Mann mit der Narbe im Gesicht kam mit einer sauberen weißen Schürze über einem kurzärmeligen Hemd und einer Blue Jeans hinter dem Vorhang hervor.
»Mein Name ist Rei Shimura. Sind Sie Hassan?« fragte ich mit schlechtem Gewissen.
»Nein, ich heiße Mohsen. Sie hätten mir die Karte nicht wiedergeben müssen, aber danke trotzdem.«
»Ich mußte die Polizei anrufen. Ich habe nicht gedacht, daß Sie deswegen Schwierigkeiten bekommen könnten. Ich wünschte, ich wäre in die andere Richtung gegangen … Es tut mir leid.«
»Wohin hätten Sie denn sonst gehen sollen?« fragte Mohsen. »Die Straße ist eine Sackgasse. Jeder, der hinein oder hinaus will, muß durch den Park.«
»Erinnern Sie sich, jemanden vor mir dort gesehen zu haben?«
»Sicher. Aber niemanden, der gefährlich aussah.«
»Würden Sie mir sagen, wie diese Leute aussahen? Mir wäre die Information sehr, sehr wichtig.« Ich senkte die Stimme, obwohl die anderen Männer ohnehin alles mitbekamen.
»Was wollen Sie mir dafür geben? Fünftausend Yen, das Geld, das ich verdiene, wenn ich zwölf Stunden am Tag Kaffeetassen abspüle?« Er lachte bitter.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen …«
»Es gibt keine Geheimnisse! Ich hatte nichts damit zu tun!« Mohsen klang verzweifelt.
»Mein Freund ist in Schwierigkeiten. Um ihm helfen zu können, müßte ich wissen, wen Sie gesehen haben.«
Er zögerte und meinte dann: »Ich habe einen älteren Mann aus der Gegend gesehen, den ich kenne. Er spuckt immer nach mir. Außerdem drei Kinder in Schuluniform. Und eine Japanerin. Sie war merkwürdig, trug einen bunten Kimono und eine altmodische Frisur wie die Leute von den Musikgruppen, die manchmal hier auftauchen.«
» Chindonya «,sagte ich und mußte wieder an die Gruppe denken, die ich am Donnerstag gesehen hatte. »Hatte die Frau einen Leberfleck auf der Nase?« Um meine Worte zu unterstreichen, deutete ich auf meine Nase.
»Wer weiß? Ihr Gesicht war weiß geschminkt. Deshalb kann ich auch nicht sagen, wie alt sie ist.«
Die merkwürdige Aufmachung war durchaus sinnvoll: In diesem alten Teil Tokios fiel die Frau so als Angestellte in einem Souvenirgeschäft oder einem Restaurant oder, wie Mohsen gemeint hatte, sogar als Musikerin nicht auf.
»Das ist eine interessante Information. Ich wünschte, ich könnte Ihnen auch einen Gefallen tun«, sagte ich zu Mohsen.
»Warum? Sie haben mir schon meine Karte zurückgegeben. Damit ist Ihre Mission beendet.«
Sein ausgezeichnetes Englisch sowie seine guten Manieren ließen mich stutzen. »Sie kommen aus dem Iran? Was haben Sie denn dort gearbeitet?«
»Ich habe Betriebswirtschaft studiert. Ich hatte die Hoffnung, Arbeit bei einer Firma in Teheran zu finden, aber der iranischen Wirtschaft ging es sehr schlecht. Es gab keine Arbeit dort, also bin ich hierher gekommen.«
Und hier mußte er sich die Beleidigungen der Einheimischen gefallen lassen – das war einfach nicht fair! »Mohsen, wie lange arbeiten Sie heute abend?«
»Das Café schließt um sieben. Warum?«
»Ich gebe heute abend eine Party. Es werden einige japanische und ausländische Geschäftsleute kommen. Vielleicht …«
»Sie meinen, vielleicht finden sie Gefallen an mir und bemühen sich um eine Arbeitsgenehmigung für mich? Sie sind wirklich eine verrückte junge Frau.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Garantieren kann ich natürlich nichts. Aber ein gutes sashimi- Essenbekommen Sie auf jeden Fall.«
Meine Meinung über illegale Einwanderer begann sich zu ändern. In Zukunft würde ich nicht mehr automatisch abwinken, wenn einer von ihnen auf mich zutrat. Ich würde ihm zuhören, genau wie diese Männer mir zugehört hatten.
» Sashimi .Das habe ich noch nie probiert.« Mohsen klang nachdenklich.
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie finden es gräßlich, oder es schmeckt Ihnen!« sagte ich. Inzwischen war ich mir sicher, daß er meine Einladung annehmen würde.
11
Man muß einfach wissen, wie man einen gefrorenen Fisch tranchiert. Das sagte ich Miss Wada, die sich um sechs Uhr immer noch mit dem Schwanz des Tiers abmühte. Der Concierge hatte uns telefonisch informiert, daß die ersten Gäste bereits auf dem Weg nach oben
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