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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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Sauberkeit. Ich wollte gerade wieder zu dem Brunnen in der Nähe des Tempels zurück, als Akemi ein letztes Mal vorbeikam, diesmal mit zwei Wasserflaschen.
    »Sie können Gedanken lesen«, sagte ich und trank die Flasche mit einem Zug leer.
    »Wasser ist sehr, sehr wichtig. Ich habe die beiden Flaschen in den Bach hinterm Haus gehängt, damit das Wasser schön kühl bleibt.« Akemi stützte sich mit dem Fuß an der Wand des Teehauses ab und machte Dehnübungen. Ihre Atmung normalisierte sich innerhalb weniger Minuten wieder. Ich war ziemlich neidisch auf sie, weil ich schweißgebadet war und genauso erschöpft wie nach meinem ersten Lauf im Yoyogi Park. Allerdings war ich ungefähr eineinhalb Kilometer weit gelaufen, ohne stehenzubleiben. Akemi hatte mir gezeigt, daß ich die Kraft dazu besaß.
    »Hat meine Mutter Sie schon angerufen?« fragte Akemi, nachdem sie ihre Flasche ausgetrunken hatte. »Ich glaube, sie hat Ihnen verziehen.«
    »Wie das?« fragte ich verblüfft.
    »Ich habe ihr gesagt, wie ungerecht sie gewesen ist. Es war albern von ihr, das, was Sie ihr besorgt hatten, nicht zu nehmen. Schließlich sollte das Ding in mein Zimmer, und mir ist es egal, wie alt es ist.«
    Ich sprach etwas aus, worüber ich schon länger nachgedacht hatte: »Wenn Ihr Zimmer nun mit japanischen Antiquitäten eingerichtet wird, was passiert dann mit Ihren ganzen Medaillen und den anderen Sachen, die Ihnen wichtig sind?«
    »Sie möchte, daß ich sie in ein Lager gebe. Es ist Unsinn, sie in meinem Zimmer aufzubewahren. Schließlich habe ich seit zehn Jahren keinen Wettkampf mehr gewonnen.«
    »Aber Sie trainieren doch die ganze Zeit im dojo .«
    »Das ist nur noch ein Hobby. Hin und wieder mache ich einen Schaukampf.« Sie zuckte mit den Achseln.
    »Warum arbeiten Sie nicht im Tempel? Sie sind doch das einzige Kind und werden wahrscheinlich erben, oder?«
    Akemi schüttelte den Kopf. »Im Buddhismus können Frauen wie bei den Katholiken nicht Priester werden. Mein Cousin Kazuhito bekommt den Tempel. Ich denke, meine Eltern haben mir das dojo gebaut, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.«
    »Ich bin auch ein Einzelkind. Ich hatte immer das Gefühl, alles zu haben, was ich wollte – nur eins nicht: einen Spielkameraden.« Meine Eltern hatten mich überallhin mitgenommen und mir alle Restaurants und Museen gezeigt, mir aber nichts über Kinderspielplätze beigebracht. Nach den paar Tagen mit Angus war ich mir ziemlich sicher, daß ich keinen Bruder gewollt hätte, aber eine ältere Schwester, die mir aufs Klettergerüst geholfen hätte, jemand wie Akemi – das wäre schön gewesen.
    »Es gibt nichts Schlimmeres, als sein Leben mit jemandem teilen zu müssen, ohne selbst etwas zu sagen zu haben. Kazuhito ist zu uns gezogen, als wir beide zwölf waren. Plötzlich hat er beim Abendessen die besten Happen bekommen; er hat die schönsten Geschenke gekriegt und durfte im Tempel neben meinem Vater sitzen.«
    »Und wie läuft’s heute so?«
    »Na ja, wir kommen miteinander aus«, sagte Akemi mit rauher Stimme.
    Als ich in der Ferne eine Sirene hörte, fragte ich mich, was nach dem Ableben ihres Vaters aus ihr werden würde. Mußte sie dann das geräumige Haus gegen eine winzige Wohnung eintauschen? Mit welchem Erbe hatte sie zu rechnen?
    »Arbeitet Kazuhito jetzt im Tempel?« fragte ich.
    »Er ist der zweite Klostervorsteher, was bedeutet, daß er die geschäftlichen Belange des Tempels, unsere Antiquitätensammlung und die kulturellen Veranstaltungen für die Touristen betreut. Ich habe keine Ahnung, warum, denn er spricht fast kein Englisch …«
    »Das könnten Sie doch machen«, sagte ich. »Ihr Englisch ist ausgezeichnet!«
    »Wie gesagt: Als Frau kann ich nie Priesterin werden. Ich könnte einen Priester heiraten, aber ich könnte nie so wie meine Mutter werden.«
    Ich hätte gern noch mehr von Akemi erfahren, aber allmählich mußte ich los. So sagte ich mit einem Seufzen: »Ich muß in den Hauptraum und Hughs geliebten Bruder abholen. Die Informationsveranstaltung für die Touristen dürfte inzwischen zu Ende sein.«
    »Wollen Sie denn nicht zuerst duschen?« fragte Akemi mich besorgt.
    »Nein! Ich habe keine Handtücher und auch keine Wechselkleidung dabei.« Natürlich war ich schon in Gemeinschaftsbädern und -duschen gewesen, aber die Aussicht, mich Akemi nackt zu zeigen, machte mich nervös. Sie hatte sich bereits über meine Beine geäußert; mehr wollte ich eigentlich nicht hören.
    »Sie dürfen den Tempel nicht

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