Zuflucht im Teehaus
gefunden hatte.
»Nun, ich habe gerade erst zu suchen begonnen – wie gesagt, es könnte ziemlich schwierig werden …«
»Was sind denn das für Geräusche im Hintergrund? Ich kann Sie kaum verstehen!« beklagte sich Mrs. Kita.
Ich wollte ihr nicht sagen, daß ich von einem Handy in einem Teehaus aus telefonierte – dafür hätte ich mich schämen müssen.
»Ich glaube, die Verbindung ist einfach ziemlich schlecht«, sagte ich, gerade als wir unterbrochen wurden.
Offenbar mußte der Akku des Telefons neu aufgeladen werden. Wie ich der Bedienungsanleitung entnahm, konnte man ihn an jeder Steckdose anschließen – nur schade, daß es in dem Teehaus keine gab. Ich würde auf dem Gelände von Horin-ji nach einer suchen müssen.
Es war ganz dunkel, als ich mich auf den Weg zum Haupttempel machte. Jetzt war ich froh über meine Turnschuhe mit den Gummisohlen, weil es in Kamakura von Schlangen und giftigen Insekten wimmelte und sich obendrein vielleicht noch der eine oder andere tollwütige tanuki in der Gegend herumtrieb.
An den Nebengebäuden des Tempels suchte ich vergebens nach Steckdosen, doch im Hauptgebäude mußte es Strom geben. Ich sah mir das dunkle, abweisende Haus genauer an. Inzwischen war es halb zehn. Nirgends brannte mehr Licht, weil die Mönche um fünf Uhr morgens aufstehen mußten.
Doch hinter der Mauer, die das Haus der Mihoris vom öffentlichen Bereich abtrennte, entdeckte ich Licht. Ich ging nahe genug heran, um durch den Bambuszaun und die vorderen Fenster sehen zu können. Durch den shoji entdeckte ich die Silhouetten von drei Menschen im vorderen Raum und das blaue Licht eines Fernsehapparates. Natürlich hatten die Mihoris wie alle Familien in Japan einen Fernseher. Trotzdem war ich überrascht, weil ich während meiner Besuche bei Mrs. Mihori nie einen gesehen hatte.
Da fiel mir Akemis dojo ein. Dort konnte ich den Akku in die Steckdose auf der Arbeitsfläche stecken, wo ihr elektrischer Teekessel stand. Der Trainingsbereich hatte den Vorteil, daß er sich auf der anderen Seite des Gebäudes befand, weit weg von der fernsehenden Familie.
Ich betrat den Garten und schloß das Tor leise hinter mir. Wenn ich nicht entdeckt werden wollte, mußte ich auf dem Boden kriechen, wo sich möglicherweise alles mögliche Getier tummelte. Ich steckte das Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans und schickte ein Stoßgebet zu Buddha, daß er mich vor Gefahren bewahren möge. Unter meinen Fingern spürte ich ein paar Insekten. Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht laut zu schreien. Die haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen ,versuchte ich mich zu beruhigen. Zum Glück war der Garten gepflegt, so daß ich die meiste Zeit über relativ insektenfreies Moos kroch.
Die Tür zum dojo war verschlossen, obwohl Akemi versprochen hatte, sie würde sie offen lassen. Ich rüttelte eine Weile vergebens daran.
Ich hatte keine andere Wahl, ich mußte zum Haus zurückkehren. Die Fenster auf der Rückseite waren dunkel, aber ich erkannte die lange Wand mit den Glasschiebetüren, hinter denen Mrs. Mihori ihre Teezeremonie abhielt.
Ich zog meine Turnschuhe aus und betrat den Holzsims, der vor der Tür verlief. Ich versuchte, die Tür zu öffnen, und als sie sich bewegte, trat ich ein. Im Mondlicht sah ich, daß der Raum bis auf einen Teetisch, ein paar ordentlich übereinandergestapelte Kissen und eine anmutige andon- Lampe in einer Ecke leer war. Ich ging zu der Wand hinüber, an der die Lampe eingesteckt war, und schloß mein Handy an.
Als ich mich umdrehte, nahm ich eine Bewegung wahr und erstarrte, doch da merkte ich, daß das nur mein eigenes Spiegelbild war. Ich wandte mich den Fotos von Mrs. Mihoris Eltern auf dem buddhistischen Altar zu.
Die Frau hatte die Augen niedergeschlagen, und bei dem Mann entdeckte ich einen harten Zug um den Mund. Beide waren in einfache schwarze Kimonos gekleidet. Sie gehörten eindeutig der älteren Generation an, die im Krieg Hunger gelitten, es dann aber geschafft hatte, sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Was würden sie wohl empfinden, wenn sie wüßten, daß so viele Leute in der Stadt Nana nicht leiden konnten und daß diese möglicherweise sogar eines Tages zusammen mit ihrem Kind vom Tempelgelände vertrieben würde?
In dem Raum war es so still und dunkel, daß ich mir leicht die Gegenwart von Nana Mihoris Vorfahren vorstellen konnte. Doch dann fiel mir wieder ein, daß sie nicht auf dem Anwesen gelebt hatten. Es war fast ein bißchen beängstigend, daß
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