Zuflucht im Teehaus
daß es keine Dusche gibt, dachte ich, während ich mich hastig mit einem Waschlappen wusch.
Noch nicht ganz trocken, näherte ich mich durch die Dunkelheit dem Geräusch der Gongs und traf dort auf eine überraschend große Zahl von Menschen, die bereit waren, um diese Uhrzeit zum Gebet zu erscheinen. Manche trugen traditionelle dunkle Buddhistengewänder, andere weite Sportkleidung wie ich. Die meisten waren schon ein bißchen älter. In Japan hingen eher die älteren Leute dem Buddhismus an als die jüngeren.
Ich folgte der einzigen anderen Ausländerin, einer europäisch wirkenden Frau zwischen dreißig und vierzig. Wir setzten uns hinter zwei Reihen schwarzgekleideter Mönche im Lotussitz. Sie waren vertieft ins Gebet, die Augen halb geschlossen, die Beine so übereinandergelegt, daß die Knöchel entspannt auf den Oberschenkeln ruhten. Ich ließ mich auf einem harten, runden Kissen nieder und hoffte, daß ich es eine Weile im halben Lotussitz aushalten würde.
Mr. Mihori saß bereits auf dem Boden, einen wunderschönen alten Messinggong neben sich. Vielleicht würde er mich erkennen, aber wirkliche Sorgen machte ich mir darüber nicht. Schließlich war es eine offene Gebetsstunde. Jeder konnte daran teilnehmen.
Der Klostervorsteher läutete eine Glocke und sprach die erste Zeile eines Gebets. Die Gläubigen stimmten ein. Verstanden sie wirklich alle Pali, die alte Mischung aus Sanskrit und Japanisch, in der das Gebet formuliert war? Ich bewegte stumm die Lippen, paßte mich dem Tempo an, in dem unterschiedliche Priester ihre Gongs schlugen.
Es war eine wunderbare Erfahrung, so in dem dunklen Raum zu sitzen, in dem nur der vergoldete Altar hell im Kerzenlicht leuchtete. Doch auch der halbe Lotussitz war schwieriger, als ich gedacht hatte; nach fünfzehn Minuten hatte ich das Gefühl, als treibe jemand Schrauben in meine Oberschenkel, und allmählich schliefen mir die Zehen ein. Als die Gebete schließlich beendet waren und wir uns erheben durften, um uns vor dem Altar niederzuwerfen, war ich heilfroh, mich wieder bewegen zu können.
Nach der Niederwerfung setzten wir uns noch einmal zum zazen ,der Meditation, die der Kern des Zen-Buddhismus ist. Ich hatte es schon früher mit der Zen-Meditation versucht, allerdings ohne Erfolg. Aber im Augenblick war es mir egal, ob es klappte oder nicht, denn ich war eigentlich nur hierhergekommen, um über das nachzudenken, was ich am Vorabend herausgefunden hatte.
Doch zum Nachdenken war praktisch keine Zeit. Nach etwa zehn Minuten erhob sich Mr. Mihori und ging ganz langsam mit einem über einen Meter langen Paddel durch die Reihen der Gläubigen.
»Konzentration!« rief er dabei, und es klang viel grober, als ich je erwartet hätte. »Aufrecht sitzen!«
Brüllte er mich an? Plötzlich merkte ich, daß meine Bemühungen, den Lotussitz auszuhalten, dazu geführt hatten, daß ich ein wenig nach links sackte. Ich richtete mich auf und brachte meine Knöchel unauffällig in eine etwas bequemere Position.
Ich war nicht die einzige, die gerügt wurde. Mr. Mihori beanstandete auch die Haltung meiner europäischen Kollegin, die offenbar kein Japanisch verstand, andere machte er auf ihre mangelnde Konzentration aufmerksam. »Leeren Sie Ihren Geist von allen Gedanken!« brüllte er eine alte Frau an, die sich so tief duckte, daß ihre Nase den Boden berührte.
Als er mit dem Stock auf den Rücken der Gläubigen schlug, wäre ich am liebsten geflohen. Ich war nicht hierhergekommen, um mich körperlich züchtigen zu lassen. Ich konzentrierte mich auf das langsame, sanfte Atmen, das der Klostervorsteher sich wünschte. Und tatsächlich spürte ich, wie ich begann, ruhiger zu werden. Ich war nicht im Nirwana – wer schaffte es schon bei dem Gebrüll? –, aber ich nahm nun alles gelassener. Die Meditation dauerte vierzig Minuten, und das schlimmste, was mir passieren konnte, war, daß ich geschlagen wurde. Der Schlag würde nicht einmal eine Sekunde dauern. Wenn ich einen rechten Haken von Hugh Glendinning überlebt hatte, würde ich auch einen Schlag auf den Rücken überstehen.
Der Klang des Gongs erfüllte mich. Der Gedanke, daß ich gerade an Riten teilnahm, die vierzehn Jahrhunderte zuvor über Indien und China nach Japan gekommen waren, beglückte mich. Die schwarzgekleideten Mönche vor mir hatten den Materialismus des modernen Japan gegen ein hartes Leben getauscht, das ausschließlich auf eine innere Suche ausgerichtet war. War das auch etwas für mich? In
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