Zuflucht im Teehaus
war. »Ach, soweit ich weiß, ist Akemi wieder ganz genesen.«
»Wunderbar. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, weil die Familie insgesamt ein bißchen kränklich ist.«
»Meinen Sie Akemis Cousin Kazuhito?«
»Genau. Sie wissen also, daß er Diabetes hat. Das muß sehr peinlich sein für Mrs. Mihori!«
»Warum?« In dem, was sie gesagt hatte, schwang eine gewisse Abneigung mit.
»Nun, er war das Kind ihrer Cousine oder so etwas Ähnliches. Sie haben ihn erst vor fünf Jahren adoptiert. Zu dem Zeitpunkt wußten sie sicher nicht, daß er nicht ganz gesund ist.«
»Ich dachte, er ist bei ihnen aufgewachsen«, sagte ich. »Haben er und Akemi nicht zusammen gespielt, als sie noch klein waren?«
»Ja, aber den Familiennamen Mihori hat er erst vor fünf Jahren angenommen. Selbst wenn er heiraten und einen Sohn haben sollte«, dabei trommelte sie mit ihren perfekt manikürten, pinkfarbenen Fingernägeln auf dem Tisch herum, »und er vor der Zeit sterben sollte, wäre das Kind zu klein, um seine priesterlichen Pflichten zu übernehmen.«
»Was hätten die Mihoris denn tun sollen? Es sieht fast so aus, als hätten sie keine andere Wahl gehabt.«
»Sie hätten den Tempel Akemi geben sollen.« Mrs. Kita sah mich an. »Sie hat Durchsetzungsvermögen, und sie liebt Horin-ji sehr. Wenn ihr Vater stirbt, müssen sie und ihre Mutter möglicherweise in eine kleine Wohnung ziehen. Der neue Klostervorsteher ist nicht verpflichtet, sie weiter auf dem Tempelgelände wohnen zu lassen.«
Feministinnen sehen manchmal ganz anders aus, als man sie sich vorstellt – so auch Mrs. Kita in ihrem grün-orangefarbenen Karokleid. Natürlich hätte sie nicht im Traum daran gedacht, an einem Treffen des Tokyo Women’s Collective teilzunehmen oder Veränderungen in der Führung buddhistischer Tempel zu fordern. In letzter Zeit hatte ich mir keine großen Gedanken mehr darüber gemacht, ob Akemi viel leicht Lust gehabt hätte, den Tempel zu leiten. Erst jetzt wurde mir klar, daß meine eigenen Probleme im Vergleich zu denen der Mihoris ziemlich klein waren.
Ich schlich mich von hinten aufs Tempelgelände und brachte meine Einkäufe ins Teehaus. Eine nashi – eine köstliche Frucht, die wie eine Mischung aus Apfel und Birne schmeckt und aussieht – essend, trat ich wieder hinaus.
Ich hörte die Geräusche eines Läufers, bevor ich ihn sah. Akemi mußte ganz schön fanatisch sein, wenn sie zweimal täglich joggte. Ich trat zur Seite, um ihr Platz zu machen.
Doch was mir da entgegenkam, war ein junger, durchtrainierter Japaner, dessen Geschwindigkeit ungefähr zwischen Akemis und meiner lag. Sein rasierter Kopf glänzte vor Schweiß, und er trug nur Nylon-Shorts und ein altes Paar Laufschuhe.
Als er mich entdeckte, machte er fast einen Sprung. Ich reagierte ähnlich. Er lief an mir vorbei, und ich sah ihm eine ganze Weile nach. Wahrscheinlich, dachte ich, ist das nicht der Mann, mit dem Akemi ein paar Tage zuvor trainiert hatte. Vielleicht war der Läufer jemand aus der Gegend, der den Pfad entdeckt hatte, oder einer von Akemis Trainingspartnern. Würde der Mann sofort zu den Tempelwächtern gehen und ihnen über den Eindringling auf dem Privatgrund der Mihoris berichten? Oder würde er Klostervorsteher Mihori davon erzählen? Diese Fragen stellte ich mir, während ich mich ins Teehaus zurückzog.
16
Ich hatte – wie mir schien, stundenlang – versucht, die Liste meiner Kunden zu organisieren, als das Handy neben mir zu klingeln begann. Es war Masuhiro Sendai, und er wollte Hugh sprechen. Wahrscheinlich war Hugh immer noch in Okinawa, aber trotzdem hörte ich mir an, was Mr. Sendai zu sagen hatte, legte auf und wählte die Nummer in Roppongi Hills, um eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen.
Wieder war meine Ansage darauf gelöscht; diesmal begrüßte mich »1 Crush« von Garbage.
»Hugh, würdest du bitte sofort Mr. Sendai anrufen? Es geht um ein Problem in Thailand«, sagte ich. »Er ist unter der Nummer null-drei-vier-drei …«
»Wo steckst du, Rei?« meldete sich Hugh, und mein Herz setzte einen Schlag aus.
»Bist du denn nicht in Okinawa?« erwiderte ich seine Frage mit einer Gegenfrage.
»Denkst du denn, daß ich nach dem Theater, das du veranstaltet hast, die Stadt verlassen könnte? Auf der Straße waren massenhaft Leute, die einfach nicht glauben wollten, daß dir nichts passiert ist; die Polizei rückt mir auf die Pelle … was soll ich denen sagen, wenn ich keine Ahnung habe, wo du dich
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