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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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gewisser Weise war das Weggehen von Roppongi Hills, um selbständig zu werden, etwas Ähnliches.
    Ich spürte einen warnenden Klaps auf meiner linken Schulter und neigte mich in Erwartung des Schlages nach vorn.
    »Die Schulter nach vorn!« wies Mr. Mihori mich barsch an. Er hatte mich nicht erkannt.
    Während ich die Schulter wie von ihm gewünscht ausrichtete, sauste der Disziplinierungsstock auf meinen Rücken nieder. Es dauerte eine Sekunde, bis mein Gehirn den Schmerz registrierte. Erst jetzt begriff ich, daß der Klostervorsteher mich angewiesen hatte, mein Schulterblatt vor einer Verletzung zu schützen. Es war also etwas Menschliches an dieser formalisierten Gewalt.
    Wir verneigten uns voreinander, um das Ritual zum Abschluß zu bringen. Der Schmerz in meinem Rücken hatte nachgelassen; ich war froh, daß er mich von der Taubheit in meinen Oberschenkeln und Zehen ablenkte.
    Als der Schmerz schließlich ganz verschwunden war, dachte ich über die unerwartete Härte nach, die der Klostervorsteher gezeigt hatte. Priester mußten streng sein. Seine Rolle in diesem Raum war die des Zen-Lehrers, genau wie er der gute Gastgeber gewesen war, als Angus und ich freitags zuvor mit ihm vor dem Tempel gesprochen hatten.
    Auch Nana Mihori spielte Rollen, über die ich nichts wußte. Besonders ihre Beziehung zu Nomu Ideta interessierte mich. Vielleicht hatte sie einen Teil des Familienerbes für sich gewollt, es aber als jüngere Schwester nicht bekommen können. Wenn das der Fall war, konnte ich ihr die tansu noch einmal anbieten.
    Ich versuchte mir die schlanke Nana Mihori in ihrem Kimono vorzustellen, wie sie Nao Sakai von Hakone nach Tokio folgte und ihn in wenigen Minuten erwürgte. Ich hielt das für ziemlich unwahrscheinlich, weil die Frau, genau wie ihr Mann, nicht einmal Auto fuhr. Mr. Mihori hatte mir erzählt, daß Akemi ihn zum Krankenhaus hatte fahren müssen.
    Die Verbindungen zwischen den Mihoris und den Mordopfern lagen auf der Hand; doch ein Motiv war nicht so offensichtlich. Ich seufzte, riß mich aber sofort zusammen, um nicht noch einmal den Unmut des Klostervorstehers zu erregen.
     
    Als die Zen-Meditation endlich zu Ende war, hatte ich das Gefühl, meine Beine nie wieder gebrauchen zu können. Ich rappelte mich hoch, um mich in die Schlange derer einzureihen, die sich schweigend in Richtung Speiseraum in Bewegung setzten. Hier schlugen die Mönche die kleinen Stoffbündel auf, die sie bei sich getragen hatten, und holten jeweils drei Lackschalen heraus. Ich bekam wie alle anderen Gäste ein Set.
    »Sind Sie zum erstenmal da?« flüsterte mir die alte Dame zu, die zuvor gerügt worden war, weil sie sich nicht richtig konzentriert hatte. Als ich nickte, sagte sie: »Wir kriegen hier gratis eine Schale Reisbrei. Deswegen komme ich dreimal die Woche her.«
    Wenn sie so oft hier war, kannte sie vielleicht Kazuhito. Ich fragte sie leise, ob sie ihn gesehen habe, doch sie schüttelte den Kopf. Vielleicht beschäftigte er sich als zweiter Klostervorsteher stärker mit den geschäftlichen Angelegenheiten.
    Ich nahm zwischen der älteren Dame und der europäischen Frau Platz und beobachtete aufmerksam, wie die Mönche ein großes Holzgefäß mit dem klumpigen Reisbrei weiterreichten. Darauf folgte ein kleinerer Behälter mit eingelegtem daikon .Als alle etwas hatten, segnete der oberste Mönch das Essen und sprach ein Gebet, in das wir einstimmten. Dann verzehrten wir den Brei hastig, ohne ein Wort zu sagen.
    Nach der Mahlzeit war ich nicht ganz satt und wurde ein wenig unruhig, als ich sah, wie die Schalen gereinigt wurden. Ein Mönch ging langsam am Tisch entlang und goß ein bißchen Tee in jede Schale, worauf jeder mit seinen Eßstäbchen darin herumrührte. Viele Gläubige tranken sogar das Abwaschwasser aus ihrer Schale. Ich goß es in ein leeres Keramikgefäß, das am Tisch entlanggereicht wurde. Dann wurden die leeren Schalen mit kleinen Tüchern getrocknet, die alle von zu Hause mitgebracht zu haben schienen. Wie die europäische Touristin reichte ich meine Schale einem Mönch, von dem ich hoffte, daß er sie noch einmal reinigen würde. Gab es in dem Tempel eine Geschirrspülmaschine? Ich mußte an eine Serie von Lebensmittelvergiftungen vor ein paar Jahren denken und bekam eine Gänsehaut.
    Nach dem Abschluß der Zeremonie folgte ich einigen Mönchen, die alle einen riesigen Strohhut in der Hand hielten, die Stufen des Tempels hinunter. Sie verließen das Gelände, um Spenden für den Tempel zu

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