Zug um Zug
östlich, auf halbem Weg nach Danzig. Auf diesem Schießplatz schoss man auf Luftsäcke: Ein Flugzeug zog einen Luftsack hinter sich her, und der Luftsack war das Ziel für die Schießerei.
Steinbrück: Das war ja sehr beruhigend für den Piloten.
Schmidt: Ich habe mal miterlebt, wie das Flugzeug, das den Sack zog, abgeschossen wurde. Ich war damals einer der Redakteure, die die Schießvorschriften, wie man die Kanone bedient, ausarbeiten mussten, weil ich schriftlich einigermaßen intelligent war. Aber was ich am besten erinnere: Dass mein Kriegskamerad und Freund Walter Plennis – der ist lange tot – und ich, dass wir uns beide in Stolp besoffen haben. Stolp hieß damals »Klein-Paris von Hinterpommern«. Jedenfalls reichte dieses Klein-Paris, um sich zu betrinken. Wir mussten damals Führerschein machen auf allen möglichen Fahrzeugen; ich habe drei oder vier verschiedene Führerscheine gemacht, für Beiwagen-Krad, für Pkw, für Lkw, für Lkw mit Anhänger, für Kettenfahrzeuge, Zugmaschinen und so weiter. Und am Ende haben Plennis und Schmidt sich mit Schnaps und Bier betrunken. Plennis wurde von den Feldjägern gegriffen – Schmidt blieb unbehelligt – und kriegte von dem Kommandeur der Schule drei Tage Bau diktiert. Auf seinem Zimmer musste er die absitzen. Und als die drei Tage um waren, wollte er wieder raus, und da hatten wir von außen die Tür zugemauert – da war eine Baustelle, da konnte man Bausteine und Zement klauen. Da konnte er nicht raus aus seinem Zimmer. Werde ich nie vergessen.
Steinbrück: Da saß er noch länger im Bau. Und jetzt machen Sie Ihre Hansereise, um Erinnerungen an Ihre Zeit beim Militär aufzufrischen?
Schmidt: Um Gottes willen! Nein, die Hanse interessiert mich. Mich interessiert insbesondere aber das Schicksal der Stadt Danzig – und vor allem Lech Wałesa.
Die Stadt Gdansk hat ein sehr eigenartiges Schicksal. Danzig ist ursprünglich eine slawische Gründung, und es ist nicht so ganz klar, ob das Kaschuben waren, ob es Polen waren, ob es Masuren waren oder ob es eine Mischung von alledem war. Und dann kamen von Lübeck und von Westen und aus der damaligen Altmark Kaufleute, siedelten sich an in Danzig und errichteten eine wunderschöne Stadt und machten Danzig gleichzeitig zu einer Hansestadt. Und diese Hansestadt wurde zeitweilig bedrängt von dem deutschen Ritterorden, der Ostpreußen und das Baltikum erobert und mit dem Schwert in der Hand christianisiert hatte. Und dann verbündete sich der Senat von Danzig mit dem polnischen König gegen den deutschen Ritterorden.
Steinbrück: 1410.
Schmidt: Ja, das war die Schlacht bei Grunwald – Tannenberg auf Deutsch, auf Polnisch Grunwald. All dies ist den Deutschen überhaupt nicht bewusst, keiner weiß das.
Steinbrück: Die Zeit hat im letzten Jahr, zum 600. Jahrestag dieser Schlacht und der Niederlage des deutschen Ritterordens, einige sehr gute Artikel veröffentlicht. Auch Günter Grass hat sich da –
Schmidt: Günter Grass weiß sehr gut Bescheid.
Steinbrück: Fahren Sie mit dem Schiff nach Danzig oder mit dem Auto?
Schmidt: Ich fahre mit dem Auto. Das Segeln kann ich mir nicht mehr zumuten.
Steinbrück: Und welche Stationen hat Ihre Reise?
Schmidt: Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Slupsk, Gdansk, Malbork, Torun, Berlin, Brahmsee.
Steinbrück: Berlin ist ja nun nicht so richtig eine Hansestadt.
Schmidt: Allerdings.
Steinbrück: Wenn es nicht zu eng getaktet ist, dann machen Sie eine Runde über Usedom.
Schmidt: Ja, das machen wir. Wir fahren über Usedom, Wollin.
Steinbrück: Mein Großvater, derselbige, den die Nazis umgebracht haben, war Kurdirektor in Heringsdorf. Und da gibt es eine herrliche Anekdote, Ende der zwanziger Jahre. Er geht die lange Pier, die wiederaufgebaut worden ist, bis zur Spitze und sieht an der Spitze dieser Pier einen Maler mit einer Staffelei.
Schmidt: Ist das eine Pier oder eine hölzerne Seebrücke?
Steinbrück: Ist eine hölzerne Seebrücke, richtig. Er geht die also bis zum Ende und sieht dort einen Mann mit einer Staffelei, der malt. Mein Großvater guckt sich das an, und es befremdet ihn etwas, weil das zwar die Ostsee ist, aber in ganz merkwürdigen eckigen Formen, und er kräuselt so ein bisschen die Stirn und fragt dann diesen Maler, etwas abrupt als Pommernkopp: Sagen Sie mal, was soll das denn kosten? Und daraufhin sagt dieser Maler: Ja, also 1000 Reichsmark oder
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