Zugriff
Polizeikräfte dem damals eskalierenden internationalen Terror fast hilflos gegenüberstanden.
Es war die Geburtsstunde der GSG 9. Erstmals trat sie 1977 auf dem Höhepunkt des » Deutschen Herbstes« in Erscheinung, der in der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und der Entführung der Lufthansamaschine Landshut gipfelte, und die spektakuläre Befreiung des Flugzeugs im somalischen Mogadischu begründete den legendären Ruf dieser Elitetruppe. Es dauerte nicht mehr lange, und nach ihrem Vorbild entstanden Spezialeinheiten auf Länderebene, die sich aus gezielt geschulten Polizeibeamten rekrutierten.
Am 1. November 1973 stellten die Polizeipräsidien in München und Nürnberg die Spezialeinsatzkommandos Südbayern und Nordbayern der Öffentlichkeit vor. Zunächst bestand jedes Kommando aus vier Gruppen, bis sieben Jahre später die Präzisionsschützen als eigene Einheit hinzukamen. Sie sind praktisch die Feuerwehr, in ständiger Einsatzbereitschaft, falls eine Situation eskaliert, und deshalb der vermutlich höchsten psychischen Belastung ausgesetzt. Ich habe sämtliche Positionen durchlaufen, vom » Fußsoldaten« bis hinauf in die Führungsebene. Erst Leiter der regulären Zugriffseinheit, dann die letzten zwölf Jahre Chef der Präzisionsschützen und damit zugleich stellvertretender Kommandoführer.
Ich möchte die Jahre beim SEK nicht missen. Es war eine gute und eine schöne Zeit, in der ich viele Menschen kennenlernte, mit denen mich noch heute eine herzliche Freundschaft verbindet und mit denen ich viel Spaß hatte. Trotz unseres weiß Gott nicht einfachen Jobs. Aber die vielen Menschenleben, die wir retten konnten, überwiegen die Schattenseiten. Natürlich gab es auch düstere Momente, in denen man mit sich und seinem Beruf haderte. Etwa wenn wir von der Schusswaffe Gebrauch machen mussten und ein Täter zu Tode kam. Das ist schwer für jeden, ich weiß es aus eigener Erfahrung. Da hilft es nicht unbedingt, dass von diesem Menschen eine Gefahr ausging. So einfach funktioniert das nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte ich jedoch das Glück, immer Menschen um mich zu haben, die mich in einer solchen Situation aufrichteten. Vor allem meine Frau half mir, mit solchen Einsätzen physisch und psychisch fertigzuwerden. Heutzutage setzt man fast nur noch auf professionelle Hilfe. Ich finde, dass ein Familiengehöriger, der näher dran ist, die bessere Wahl sein kann.
Oder auch ein Kollege, der das Ganze selbst durchgemacht hat. Deshalb ist es mir vor allem in späteren Zeiten ein Herzensanliegen gewesen, mich um meine jungen Präzisionsschützen zu kümmern. Je nach Mentalität haderten die ganz schön mit sich, wenn sie auftragsgemäß durch gezielten Kopfschuss etwa einen Geiselnehmer außer Gefecht gesetzt hatten. » Finaler Rettungsschuss« nennt man das. Rettung für die Geisel, ja, aber zugleich Tod für den Täter, und das musste verarbeitet werden. Für mich ein Grund mehr, über meine Erfahrungen am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei zu referieren, um die jungen Beamten sowie die verantwortlichen Führungskräfte für Ausnahmesituationen besser zu rüsten. Vorträge über Geiselnahmen hielt ich auch vor den Spezialeinheiten anderer Bundesländer, in neun europäischen Staaten und sogar bei unserem Vorbild, der GSG 9. Nicht zuletzt in diesem Umfeld erhielt ich vielfache Anregungen, meine Erlebnisse und Erfahrungen niederzuschreiben.
Und da ist es nun: ein Buch, in dem alle wesentlichen Details stimmen mit Ausnahme der Namen und Orte, die aus Gründen des Persönlichkeitsrechts verändert wurden. Zwei Jahrzehnte eigenen Erlebens und doch keine Reise in die Vergangenheit, denn Fälle wie diese ereignen sich tagtäglich und stellen das SEK immer wieder vor die gleichen Herausforderungen.
In diesem Sinne: » Zugriff!«
Es gibt Erlebnisse, die man nie vergisst, und dazu zählt für mich ein Einsatz im Mai 1979. Vielleicht auch, weil ich mich damals mit einem ganz anderen Täterkreis als sonst konfrontiert sah. Zwei Jahre gehörte ich mittlerweile dem SEK an und sollte zum ersten Mal an einem Einsatz gegen jene Gruppe teilnehmen, die die Nation das Fürchten gelehrt hatte.
Es war kurz nach sieben Uhr. Wie immer betrat ich die Dienststelle als Erster. Zum einen wohnte ich nur einen knappen Kilometer entfernt, zum anderen stand ich generell früh auf. Ich brauchte nicht allzu viel Schlaf – sechs bis sieben Stunden reichten mir. Frühstück ließ ich ausfallen, denn
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