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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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seither der Maßstab für alle Landschaften ist. Lieblich, nicht dramatisch. Grün und friedlich. Dunkle Wälder und saftige Wiesen, stille Teiche, über die manchmal ein Storch fliegt.
    Im Herbst werden die Teiche ausgefischt. Es ist aufregend, dabei zuzuschauen. Zuerst waten die Männer in hohen Gummistiefeln ins Wasser und schlagen mit Stöcken darauf ein, um die Fische zusammenzutreiben. Der Teich wird ausgelassen, der Wasserspiegel sinkt. Die Netze werden enger gezogen, die Fische sammeln sich in der Teichmitte. Sie schlagen wild um sich. Seit Jahrhunderten wird das so gemacht. Dann werden bottichweise die fetten Karpfen herausgeholt, die das traditionelle Weihnachtsmenü bilden. In Böhmen isst man zu Weihnachten Schwarzen Karpfen, in Bier gesotten und mit Lebkuchenbröseln und Rosinen versetzt.
    Im Winter frieren die Teiche zu und bilden herrliche Flächen zum Schlittschuhlaufen. Überall sieht man dann die Kinder über das Eis fegen, mit bunten Mützen und roten Backen, einzeln, paarweise, in Gruppen. Ein herzerfrischender Anblick. Wir haben Schlittschuhe, die man mit einem kleinen Schraubenschlüssel an die gewöhnlichen Winterschuhe anschrauben kann. Manchmal lösen sie sich, dann fällt man auf die Nase. Richtige Schlittschuhe, angewachsen an spezielle Eislaufstiefel, hat auf dem Land so gut wie niemand, und in der Stadt haben sie nur wenige reiche Kinder. Zu denen gehören wir nicht.
    Sind die Großeltern reich? Ja und nein. Traditionell war der böhmische Adel sehr reich, den großen Familien im Lande gehörten weitläufige Ländereien. Sie wurden noch reicher, als nach der Schlacht am Weißen Berg die protestantischen Herren vertrieben wurden und ihr Besitz an die verbliebenen oder neu zugezogenen Katholiken fiel. Nach der Gründung der tschechoslowakischen Republik 1919 wollte man für eine gerechtere Verteilung des Bodens sorgen. Ein Gesetz über die Bodenreform sah vor, dass ein einzelner Eigentümer nicht über mehr als 1500 Hektar Land verfügen sollte. Die Idee war, eine neue Schicht von wohlhabenden freien Bauern herauszubilden, an frühere Traditionen anknüpfend, die das Ungleichgewicht zwischen reichen Großgrundbesitzern und armen Pächtern ausbalancieren sollten. Aber der Landhunger in der Bevölkerung erwies sich als weniger groß als gedacht, und die Bodenreform wurde weniger heiß gegessen als gekocht. Es gab viele Ausnahmebestimmungen. Wer Land abgeben musste, wurde entschädigt.
    Alles in allem kamen die Aristokraten, die im Staat nun nichts mehr zu sagen hatten, aber einen großen Teil ihres Besitzes behalten durften, glimpflich davon. Die Anwälte, die für sie das neue System aushandeln mussten, machten das Geschäft ihres Lebens. Mein Vater zitiert den Ausspruch eines berühmten Advokaten, der, von einem dankbaren Klienten gefragt: Wie soll ich Ihnen danken?, kühl erwiderte: Diese Frage, Herr Graf, wäre berechtigt gewesen, bevor die Phönizier das Geld erfunden haben.
    In Breznitz wird, außer bei der Jagd, kein großer Aufwand getrieben. In den Zimmern stehen ein paar schöne Stücke, aber die Möbelbezüge sind verblichen und abgewetzt, die Kinderzimmer ziemlich spartanisch eingerichtet, und die wenigen Badezimmer, über lange kalte Gänge zu erreichen, sind selbst für die damalige Zeit vorsintflutlich. Ein blubbernder Ofen aus Kupfer heizt den Raum und wärmt das Wasser. Wenn dieses zu heiß wird, zischt es bedenklich. Man fürchtet ständig, dass die ganze Apparatur eines schönen Tages in die Luft fliegt. Manchmal macht Ria daher kurzen Prozess und steckt uns einfach in ein großes, mit warmem Wasser gefülltes »Schaffl« aus Zink, wo wir abgeschrubbt werden. Moderne Badezimmer zu installieren oder gar eine Zentralheizung wäre meinen Großeltern als völlig überflüssiger Luxus erschienen. Großpapas Schlafzimmer, durch das man seltsamerweise auf dem Weg zum Salon gehen muss, ist ebenfalls von mönchischer Einfachheit: Bett, Kommode, Waschtisch. Schluss.
    Alles, was in Breznitz auf den Tisch kommt, stammt vom eigenen Gut. Kaufen muss man eigentlich gar nichts. Als mit Kriegsbeginn die Lebensmittelbewirtschaftung einsetzt, meint Großmama denn auch, man sei hier ja wohl von allen neuen Verfügungen unabhängig. Milch und Eier kommen vom Meierhof, Gemüse aus dem Gemüsegarten, Holz zum Heizen aus dem Wald. Was braucht man mehr? Ja, aber Mehl, wendet jemand ein. Was ist mit Mehl? Kurze Nachdenkpause. Und dann meint meine Großmutter abschließend kurz und bündig: Mehl?

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