Zukunftsmenue
Antibiotika nicht mehr aus. Die sich daraus ergebenden Folgen sind multiresistente Keime, die auch den Menschen bedrohen. Aber wer kann es sich leisten, auf die Gefahren hinzuweisen und Konsequenzen zu fordern? Wer informiert uns überhaupt über den Status quo? Glücklicherweise gibt es Fachleute mit Verantwortung und Zivilcourage. Einer von ihnen ist der Leitende Veterinärdirektor i. R. Dr. Hermann Focke, der mir offen Auskunft gab.
Tischgespräch mit Dr. Hermann Focke
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Dr. Hermann Focke ist Tierarzt und war viele Jahre Veterinäramtsleiter in Südoldenburg, der Region mit der größten Nutztierdichte Europas. In seinem Buch »Die Natur schlägt zurück – Antibiotikamissbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt« setzt er sich kritisch mit der agrarindustriellen Tiermast auseinander. Er gilt als intimer Kenner und einer der kompetentesten und schärfsten Kritiker der agrarindustriellen Nutztierhaltung. 1994 erhielt er den Tierschutz-Forschungspreis der Freien Universität Berlin, 1995 den Preis für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung und 2011 den Tierschutzpreis der Hans-Rönn-Stiftung.
Sarah Wiener: Wie kam es dazu, dass Sie als einer der wenigen kompetenten Veterinärmediziner lautstark Ihre Stimme gegen die industrielle Nutztierhaltung erhoben haben?
Hermann Focke: Während meiner Tätigkeit als Amtstierarzt war ich eingebunden in das gesamte Behördensystem bis hin zu den Ministerien. Aus meinem Selbstverständnis als Tierarzt habe ich mich aber nicht immer widerspruchslos eingefügt in die Vorgaben dieses Systems. Dies führte seit Anfang der 1990er Jahre zu lang anhaltenden Diskrepanzen sowohl mit meinen direkten Vorgesetzten in der Kommunalverwaltung als auch mit den Landwirtschaftsministern Niedersachsens und des Bundes. Von Kurt Tucholsky stammt das Zitat: »In Deutschland gilt derjenige, der auf den Dreck hinweist, als viel gefährlicher als der, der den Dreck verursacht hat.« In meinem Buch »Tierschutz in Deutschland – Etikettenschwindel?! Der gequälten Kreatur gewidmet« 3 habe ich eingehend über die damalige
Situation berichtet. 1998 habe ich dann aus eigenem Antrieb freiwillig den »beamtensicheren Unterstand« verlassen und kann seitdem ohne äußere Zwänge agieren, so wie es mir mein Selbstverständnis als Tierarzt vorgibt.
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Euterentzündungen sind bei den Hochleistungs-Milchkühen ein häufiges Problem, das mit intensivem Antibiotika-Einsatz bekämpft wird.
Ihr Buch »Die Natur schlägt zurück. Antibiotikamissbrauch in der intensiven agrarindustriellen Nutztierhaltung« 4 beschäftigt sich mit den Risiken des Antibiotikamissbrauchs in der Tierzucht. Wo und warum werden in der Tiermast Antibiotika verabreicht?
In der agrarindustriellen Intensivmast werden vor allem Geflügel, aber auch Schweine, Mastkälber und -bullen behandelt. Gründe dafür gibt es viele. Zum einen sind die Masttiere, insbesondere das Geflügel, wegen übersteigerter Leistungsansprüche oft völlig überzüchtet bis hin zur Qualzucht. Die Immunabwehr dieser Tiere ist schon zu Beginn ihres kurzen Daseins massiv geschädigt. Zum anderen haben die Tiere unter den Haltungsbedingungen zu leiden. So werden etwa in der Junggeflügelmast bis zu 40.000 sogenannte Broiler in riesigen Mastställen mit 26 Tieren pro Quadratmeter eingepfercht. Überzüchtung und nicht artgerechte Haltung führen zwangsläufig zu einem hohen Infektionsdruck und damit zu erhöhten Erkrankungs- und Sterberaten besonders durch bakterielle Infektionserreger, denen man mit Antibiotika zu begegnen trachtet. Man laboriert also mit Hilfe von Antibiotika an den Symptomen und in keiner Weise an den genannten Ursachen.
Werden Antibiotika nur im Krankheitsfall zur Behandlung eingesetzt?
Keineswegs. In der intensiven agrarindustriellen Tiermast ist es nicht ungewöhnlich, dass auch bei gesunden Tieren Antibiotika eingesetzt werden. Das Ziel ist eine bessere Futterverwertung, also eine Steigerung der täglichen Gewichtszunahmen. Das bedeutet, dass in kürzerer Zeit und mit weniger Futter das angestrebte Schlachtgewicht erreicht werden soll. Das ist Gewinnmaximierung um jeden Preis.
Ist das legal?
Der Einsatz von Antibiotika als sogenannte Leistungsförderer – treffender als Masthilfsmittel oder Mastbeschleuniger bezeichnet – ist seit
dem 1.1.2006 EU-weit verboten. Diese bis Ende 2005 häufig geübte Praxis hätte daher in den folgenden Jahren zu einem drastischen
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