Zukunftsmenue
klein war, lebten wir auf dem Bauernhof der Schaffners in der Steiermark zur Untermiete. Eines Morgens wurde ich vom Brüllen einer Kuh geweckt. Ich lief die Holztreppen hinunter und suchte nach der Quelle des Brüllens. Der Bauernhof hatte einen offenen Verschlag unter freiem Himmel, der als Schlachtbank diente. Es war nichts anderes als ein mit Lack eingepinselter Boden und einer schweren Eisenkette an einem Flaschenzug. Da stand nun diese – in meinen Augen gigantisch riesige – Kuh und brach, gerade als ich um die Ecke bog, auf dem Boden zusammen. Ich erinnere mich daran, wie der Bauer die Kuh hochzog, zerteilte und Unmengen an Eingeweide mitsamt dem Darminhalt auf den Boden glitten. Ich erinnere mich an den Gestank und daran, dass im Pansen noch eine Menge nasses grünes Gras war. Dann hört meine Erinnerung auf.
Danach war ich lange Zeit Vegetarierin, ohne diesen Begriff damals zu kennen. Ich kann nicht sagen, dass dies eine bewusste Entscheidung war, dafür war ich zu klein. Ich wollte auf jeden Fall kein Fleisch mehr essen. Damals musste man ja alles, was auf dem Teller war, aufessen. Und so lief ich manchmal heimlich auf die Toilette und spuckte das Fleisch, das ich hatte essen müssen, ins Klo. Irgendwann ist meine Mutter dahintergekommen, und das Geschrei war groß.
Ich kann nicht mehr benennen, wann ich wieder mit dem Fleischessen angefangen habe. Irgendwann waren Hunger und Appetit auf ein Würstel einfach wieder da, und es schmeckte mir. Trotzdem esse ich bis heute sehr wenig Fleisch und wenn, dann nur aus artgerechter Haltung.
Erleben, wo das Fleisch herkommt
Wieder viele Jahre später, als ich mich für meine Fernsehsendung »Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener« auf den Weg zum Ursprung der Lebensmittel machte, habe ich selbst geschlachtet. Das schien mir nur konsequent, da
ich nicht mehr Vegetarierin war. Ich wollte es wissen. Ich wollte ehrlich sein. Wenn ich schon Fleisch aß, konnte ich doch nicht so tun, als müssten keine Tiere dafür sterben. Ich hätte mich auch weigern können, schließlich war es meine Sendung, und es stand mir jederzeit frei, irgendetwas nicht zu tun. Trotzdem wollte ich den Zuschauer gern mitnehmen. Er sollte durch meine Augen sehen und hautnah erleben, wie es ist, wenn man Hühner ersticht oder durch Strom betäubt, Hirsche und Wildvögel jagt und schießt. Wer Fleisch essen will, muss Tiere töten. Aber dass sie geschlachtet werden, blenden wir nur zu gerne aus.
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Schlachten gehört dazu, wenn wir Fleisch essen wollen. Für mich ist es eine Sache der Ehrlichkeit, das offen zu zeigen und das Tier, das uns ernährt, zu achten.
Nichts soll mehr daran erinnern, dass das Filet einmal ein Tier war, kein Knochen, keine Sehne darf zu sehen sein. Das Fleisch wird in gleich großen Teilen abgepackt, damit es an eine x-beliebige Industrieware erinnert. Als Köchin habe ich anfangs viel Fleisch verarbeitet, und dessen Ursprung war mir selten bekannt. Fleisch ist so billig, dass ich es nicht mehr wirklich wertgeschätzt habe. Mich trieb nur die Frage: »Worauf habe ich heute Lust, was kitzelt meinen Gaumen?« Durch meine Erfahrungen bei den »kulinarischen Abenteuern« habe ich mir selbst wieder Respekt und Ehrfurcht vor dem hochwertigsten Lebensmittel verschafft, das wir haben: Fleisch.
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Ein einschneidendes Erlebnis im wahrsten Sinne … Als Mamsell in »Abenteuer 1900, Leben im Gutshaus« schlachte ich mein erstes Huhn.
»Meine« Tiere dagegen, also die, die ich schlachten musste, hatten eine menschliche Bezugsperson oder ein freies Leben in der Wildnis. Allerdings wurde es für mich mit den Jahren immer schwieriger, Tiere zu töten. Als ich 2004 in der Dokuserie »Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus« die gestrenge Mamsell verkörperte, die für die Küche und den gesamten Haushalt zuständig war, und zwei Monate lang so lebte wie vor hundert Jahren, nahm mich und das andere »Gesinde« die Hausschlachtung eines Schweins sehr mit. Ich schlachtete damals auch mein erstes Huhn und hatte dabei wahrscheinlich genauso viel Stress wie das Huhn. Es war ein einschneidendes Erlebnis. Da wir aber schon einige Wochen kein Fleisch gegessen hatten und unser Appetit so riesig war, war dieses Tier im Handumdrehen einfach nur noch ein Stück Fleisch, und ich freute mich darauf, endlich in einen Schenkel beißen zu können. Wir alle hatten Hunger. Deshalb erschien das Schlachten als eine unangenehme, aber logische Notwendigkeit, die mich nicht in einen
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