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Zukunftsmenue

Zukunftsmenue

Titel: Zukunftsmenue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Wiener
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»unreif« oder auch einfach nur »ungenießbar«. Der US-amerikanische Professor Paul Rozin nennt das sogar den »Sicherheitsgeschmack der Evolution«.

    Man sollte aber die anfängliche Skepsis oder Ablehnung nicht als für immer gegeben ansehen. Wie viele andere Dinge auch muss man Geschmack regelrecht erlernen. Deswegen koche ich ganz normal, also kein typisches Kinderessen, und fordere die Kinder immer wieder zum Probieren auf. Völlig falsch ist der vorauseilende Gehorsam: Mein Kind isst ja eh nur bestimmte Sachen, deswegen passe ich meine Gerichte an. Ich stehe auf dem Standpunkt: Kinder lernen von Erwachsenen. Diese tragen für die Kinder die Verantwortung und legen die Regeln fest. Wenn ich Kinder mitkochen lasse, so meine Erfahrung, dann essen sie in der Regel ihr eigenes Werk – und das mit Stolz.

    Meine Freundin Katharina hat eine erwachsene Tochter, Anna, die ich sehr mag. Als sie klein war, hatte ich allerdings meine Mühe mit ihr. Anna hatte schnell erkannt, dass sie das Essen als Kriegsschauplatz für unbearbeitete Konflikte nutzen konnte. Sie hatte gemerkt, wie besorgt ihre Eltern waren, wenn sie deren Meinung nach nicht genügend aß. Ihre Eltern versuchten jeden Löffel mit abenteuerlichen, wortreichen Spielen und Märchen in ihren Mund zu befördern. Mit der Zeit hatte Anna daraus ein regelrechtes
Theater inszeniert. Sie aß nur noch, wenn der Vater dabei ein bestimmtes Lied sang oder die Mutter vor jedem Löffel eine Pirouette drehte. Eine andere Mutter fährt zweimal in der Woche eine Stunde lang zu einem bestimmten Metzger, weil es nur dort die Würste gibt, die ihr Sohn so gerne isst. Eigenartig finde ich auch, dass Eltern ihren Kindern, egal welchen Alters, nicht die Hoheit über deren Besteck lassen. Kinder sollten von klein auf in ihrem eigenen Tempo mit ihren Händen und Besteck essen dürfen.
    Bild 76
    Gut kochen fängt mit gut einkaufen an. Hier ein Marktbesuch in meiner Fernsehserie »Sarah und die Küchenkinder«.
    Offenbar treibt uns eine diffuse Angst um, unsere Kinder oder wir könnten jederzeit verhungern, obwohl genügend Nahrung zur Verfügung steht. Doch in unseren Breitengraden verhungern Kinder eher selten und sicher nicht dann, wenn sie sich weigern ihr Mittagessen zu essen. Seien Sie aber konsequent: Dann gibt’s auch kein Dessert und keine Pizza als Zwischensnack. Und entspannen Sie sich! Nur dann wird Ihr Kind ein normales Verhältnis zu Lebensmitteln entwickeln können.

Tischgespräch mit Anne Markwardt
    Bild 7

    Anne Markwardt ist bei der Verbraucherrechtsorganisation foodwatch zuständig für den Bereich Kinderlebensmittel. foodwatch entlarvt die verbraucherfeindlichen Praktiken der Lebensmittelindustrie und kämpft für das Recht der Verbraucher auf qualitativ gute, gesundheitlich unbedenkliche und ehrliche Lebensmittel. Der gemeinnützige Verein ist unabhängig vom Staat und von der Lebensmittelwirtschaft und finanziert sich aus Förderbeiträgen und Spenden.

    Sarah Wiener: Geschmackserfahrungen in der Kindheit prägen einen ja oft ein ganzes Leben lang. Wie kann man sich die Erfahrung eines durchschnittlichen Grundschulkindes von heute vorstellen?

    Anne Markwardt: Die Ernährung vieler Kinder in Deutschland ist alles andere als gesund und ausgewogen. Im Schnitt essen Sechs- bis Elfjährige mehr als doppelt so viele Süßigkeiten und deutlich mehr Fleisch, aber nur halb so viel Obst und Gemüse, wie empfohlen wird. Kinder und Jugendliche sind ständig und überall mit Angeboten für Snacks, Süßigkeiten oder süßen Getränken konfrontiert. In der Schule, an der U-Bahn-Haltestelle, am Kiosk und natürlich auch beim Einkaufen mit den Eltern im Supermarkt. Gerade Produkte, die gezielt für Kinder produziert werden, enthalten oft Zucker in großen Mengen. Selbst Produkte, die Hersteller den Eltern als gesund, ausgewogen, vitaminreich oder besonders geeignet für die Kinderernährung unterjubeln wollen – wie zum Beispiel Milchprodukte, Frühstücksflocken oder Fruchtsaftgetränke –, sind häufig nichts anderes als Süßigkeiten
mit künstlichen Aromen. Die Geschmacksprägung geht also stark in Richtung süß. Fakt ist: Mit hochverarbeiteten Produkten wie Softdrinks, Keksen, Süßwaren und Snacks macht die Lebensmittelindustrie die höchsten Umsätze. Genau an diese Produkte will sie Kinder – die Kunden von morgen – schon möglichst früh gewöhnen. Und das mit allen Mitteln. Kinder sind heute überall aggressiven Marketing- und Werbepraktiken für

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