Zukunftsmenue
würdest du nicht mehr machen. Wie kommt das?
Erst mal will ich verraten, warum ich das überhaupt gemacht habe. Unsere Aufgabe war, ein Menü zu kochen, das die Leute zu Hause nachmachen können. Als ich dann im Vorfeld die Produktanforderungsliste der anderen Köche sah, habe ich mal durchgezählt. Für das ganze Essen, das wir da gekocht haben, hätte man dreiundvierzig Töpfe und Schüsseln gebraucht. Mal ganz abgesehen von der Zeit – so etwas ist für Privatleute einfach utopisch. Und weil das Entertainment-Fernsehen ist, was wir machen, wollte ich ein bisschen provozieren und deutlich machen, wie man Kartoffelpüree möglichst unkompliziert auf den Tisch bekommt.
Aber ausgerechnet Kartoffelpüree … zu Weihnachten!
Ja, ausgerechnet das. Mein einziger, wirklich blödsinniger Fehler war zu sagen, man merkt den Unterschied nicht. Denn natürlich schmeckt man den Unterschied. Ganz, ganz, ganz, ganz deutlich.
Aber jetzt bist du ja wahrscheinlich sogar der bekannteste deutsche Koch. Da müsstest du dich doch hinstellen und sagen: Eine Tüte aufreißen und warme Milch oder warmes Wasser einrühren hat nichts mit Kochen zu tun. Ich zeige euch, wie es richtig geht: Macht lieber einen vernünftigen Gang statt fünf.
Genau das ist ja die Entwicklung, die ich durchgemacht habe. Inzwischen mache ich exakt das – simpel kochen, Überflüssiges weglassen, mich auf die Produktqualität konzentrieren und auf die Ressourcen achten. Ich hab mit der »Bullerei« ein so großes Unternehmen, und wenn wir nicht verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen, wer dann?
Gab es irgendein Erlebnis oder irgendeine Überlegung, was dich auf diesen Weg gebracht hat, dass es tatsächlich eine Rolle spielt, woher das Schnitzel kommt oder ob die Brühe aus dem Glas oder selbst gekocht ist?
Meine Einstellung ist maßgeblich durch den Dokumentarfilm »We feed the world« beeinflusst worden, den ich gerade in seiner Neutralität und Objektivität einfach großartig fand. Da war endlich mal keiner, der versucht hat, mir meine Welt, die aus vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche besteht, innerhalb von zehn Minuten mit drei Plattitüden zu erklären. Dieser Film hat unkommentiert und ungeschminkt gezeigt, wie die Leute, die unser Essen produzieren, sich selbst entlarven. Der hat mich ins Grübeln gebracht, und das Nachdenken hat bei mir leider zu einem Schluss geführt, der erst hochgradig depressiv war – nämlich, ich kann gar nicht korrekt sein. Seitdem ich diesen Film gesehen habe, setze ich mich mehr mit dem Thema auseinander. Erst mal in meiner Welt, und wenn ich eine Lösung oder einen Weg gefunden habe, dann werde ich den kommunizieren. Vorher nicht.
Tim, wenn du in puncto Ernährung etwas ändern könntest, was wäre das?
Dass Lebensmittel umsonst sind und sie auf der Welt für alle und im selben Maße verfügbar wären. Eine Demokratisierung des Essens also. Denn für viele Menschen ist es nicht selbstverständlich, genug zum Essen zu haben. Mal angenommen, du würdest hier in Deutschland in jedem Laden sowohl stark verarbeitete Lebensmittel als auch Bioware anbieten. Dann würde doch nicht ein einziger zurechnungsfähiger Mensch sagen, dass er die pestizidverseuchte Scheiße nimmt.
Stimmt.
Jeder kann kochen lernen
Tim hatte an diesem Abend eine von seinen wirklich guten, neu entwickelten Kürbiskreationen für uns gekocht – absolut lecker und »sexy«! Später auf dem Nachhauseweg habe ich noch lange über unser Gespräch nachgedacht. Ich habe Tims Position, die Leute nicht zu überfordern und zu verschrecken, sofort verstanden. Natürlich ist es besser, überhaupt erst einmal am Herd zu stehen und aus frischen Zutaten etwas Einfaches zu kochen, als Industrieessen zu sich zu nehmen, das einen von der Verantwortung enthebt nachzufragen, wie und unter welchen Bedingungen die Lebensmittel hergestellt worden sind.
Ich bin mir sicher: Die Herrschaft und Kontrolle über das, was wir essen, zurückzuerlangen, mit frischen Grundzutaten selbst zu kochen, den Geschmack zu schulen und genussvoll zu essen, das sind die Säulen, auf denen unsere Kultur ruht und die uns ursächliche Gesundheit garantieren. Ich weiß, wie schwer es sein kann, sich zum ersten Mal an den Herd zu trauen; selbst bei mir gab es eine Zeit, in der das Kochen für mich ein Buch mit sieben Siegeln war, ich hatte es zu einem sehr komplexen, komplizierten, fast unbezwingbaren Vorgang stilisiert. Aber als ich mich dann an den Herd
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