Zum ersten Mal verliebt
er könnte etwas sagen, was sie als Fred Arnolds Freundin nicht hören wollte. Rilla stand ebenfalls auf und begleitete ihn schweigend hinüber zur Verandatreppe. Dort blieben sie stehen, Ken eine Stufe unter ihr. Die Stufe war halb in der Erde versunken und von Pfefferminzpflanzen überwuchert. Nachdem immer wieder jemand im Vorbeigehen darauf trat, verbreitete sich ihr Aroma besonders stark, und dieser würzige Duft; umgab sie wie ein lautloser, unsichtbarer Segenswunsch. Ken schaute zu Rilla auf. Wie schön war ihr Haar im Mondschein, wie verführerisch ihre Augen! Da war er sich auf einmal sicher, dass es nichts auf sich hatte mit den Gerüchten über Fred Arnold.
»Rilla«, sagte er plötzlich leise und leidenschaftlich, »wie schön du bist!«
Rilla errötete und sah zu Susan hinüber. Auch Ken warf einen Blick in ihre Richtung. Sie saß mit dem Rücken zu ihnen. Da legte er den Arm um sie und küsste sie. Es war das erste Mal, dass jemand Rilla küsste. Vielleicht hätte sie ihm böse sein müssen, aber sie war es nicht. Stattdessen blickte sie zaghaft in Kenneths erwartungsvolle Augen und dieser Blick war wie ein zweiter Kuss.
»Rilla-meine-Rilla«, sagte Ken, »versprichst du mir, dass dich kein anderer küsst, bis ich wieder zurück bin?«
»Ja«, sagte Rilla, zitternd vor Erregung.
Susan drehte sich um. Ken löste seine Umarmung und machte sich auf den Weg.
»Leb wohl«, sagte er unbefangen. Rilla hörte sich fast ebenso unbefangen antworten. Sie stand da und sah ihm nach, wie er den Gartenweg hinunterging, das Tor hinter sich ließ und schließlich die Straße entlangmarschierte. Kaum war er hinter dem Tannenwald verschwunden, schluchzte sie plötzlich auf und lief hinunter zum Tor, vorbei an Blumen und Blüten. Als sie sich über das Tor beugte, konnte sie Ken wieder sehen, wie er mit flottem Schritt die Straße weiterlief, mal im Schatten der Bäume, mal im Mondlicht, das seine große, aufrechte Gestalt hell umrahmte. Als er die Biegung erreicht hatte, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Da sah er sie inmitten der hohen weißen Lilien am Tor stehen. Er winkte, sie winkte zurück und dann war er endgültig aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Rilla stand eine Weile da und starrte über die nebligen, silbrigen Felder hinweg. Ihre Mutter hatte einmal gesagt,dass sie Wege mit vielen Windungen liebte, sie hätten so etwas Herausforderndes und Verführerisches. Rilla dachte, dass sie solche Wege hasste. Sie hatte Jem und Jerry hinter einer Wegbiegung verschwinden sehen, dann Walter und jetzt Ken. Brüder, Spielkamerad und Liebster, alle waren sie fort, um vielleicht nie wiederzukehren. Doch noch spielte der Pfeifer sein Lied und der Tanz des Todes ging weiter.
Als Rilla langsam zum Haus zurückkehrte, saß Susan immer noch am Verandatisch und gab ein verdächtiges Schniefen von sich.
»Rilla, ich habe gerade an die alten Tage im Haus der Träume zurückdenken müssen, als Kenneths Mutter und Vater noch nicht verheiratet waren und Jem ein kleines Baby war und es dich überhaupt noch nicht gab. Es war so eine romantische Affäre zwischen den beiden und sie und deine Mutter waren so gute Freundinnen. Wer hätte damals gedacht, dass ich erleben muss, wie ihr Sohn an die Front geht. Als ob sie als junges Mädchen nicht schon genug hätte durchmachen müssen! Aber wir müssen uns zusammenreißen und durchhalten bis zum Ende.«
Rillas Wut auf Susan war wie weggeblasen. Jetzt, wo Ken sie geküsst und sie so zärtlich um dieses bedeutungsvolle Versprechen gebeten hatte, da konnte sie niemandem mehr böse sein. Sie legte ihre schmale zarte Hand in Susans derbe, braun gebrannte Hand und drückte sie ganz fest. Susan war eine treue Seele und würde für jeden von ihnen ihr Leben geben.
»Du bist müde, Rillachen, geh jetzt lieber ins Bett«, sagte Susan und tätschelte ihre Hand. »Mir ist schon aufgefallen, dass du heute Abend zu müde warst zum Reden. Gut, dass ich so früh nach Hause gekommen bin, um dir beizustehen. Es ist schon anstrengend, diese jungen Männer zu unterhalten, wenn man es nicht gewohnt ist.«
Rilla trug Jims nach oben und wollte zu Bett gehen. Doch zuvor saß sie noch eine ganze Zeit lang an ihrem Fenster und baute ihr Regenbogenschloss wieder auf. Sie fügte sogar noch einige Kuppeln und Türmchen hinzu.
»Jetzt weiß ich gar nicht«, sagte sie zu sich selbst, »bin ich nun mit Kenneth Ford verlobt oder nicht?«
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