Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
die schwere Eichentür von außen zu. Lebe ich noch? dachte sie. Schlägt mein Herz noch? – Er bringt sie nach Hause. Er bringt sie hierher. An den einzigen Ort, an dem wir bisher noch zusammengehörten. In unser Haus.
Ellens Beine trugen sie kaum noch. Sie taumelte. Aus einem goldgefaßten Spiegel starrte ihr das Gesicht einer Fremden entgegen: grau, alt, häßlich.
»Gnädige Frau, fühlen Sie sich nicht gut?« Frederik stand plötzlich in der Halle neben ihr.
»Doch, doch«, erwiderte sie schnell. »Mein Mann möchte noch etwas trinken. Ist der Champagner kalt?«
»Ja. Wo soll serviert werden?«
»Am Kamin.«
»Wieviel Gläser?«
»Drei.«
Drei Gläser, dachte sie verstört. Ein Mann, seine Frau und seine Geliebte – und dieser Abend wird nicht der letzte sein. Rudolf wird Spaß daran finden. Nach diesem Mädchen werden andere Mädchen kommen.
Panik erfaßte sie. »Du wirst nichts dagegen unternehmen«, hatte ihr Helga Anderssen prophezeit. Ellen horchte in das große Haus hinein. Es war sehr still, wie verlassen. Die dicken, massiven Türen schirmten jeden Lärm ab.
Raus, dachte sie plötzlich. Sie riß ihren Mantel vom Haken, nahm die Handtasche. Zum Kofferpacken war keine Zeit.
In der Garage atmete sie auf. Silbrig glänzte ihr Wagen. Ich werde einfach wegfahren, irgendwohin, in die Nacht hinaus.
Aber noch ehe sie einsteigen konnte, kam ein Schatten auf sie zu. Sie sah seine Hände zuerst, die goldenen Manschettenknöpfe, dann erst sein Gesicht. Ihr Mann!
»Du bleibst hier, Ellen«, befahl er.
Sie zitterte.
Er riß sie an sich, zwischen den Autos, in der Dunkelheit der Garage. Er streichelte sie, er berührte sie, er küßte sie sogar.
Blut spürte sie. Sie mußte seine Lippen blutig gebissen haben.
»Ellen«, flüsterte er, »du bist doch auf so ein kleines Mädchen nicht eifersüchtig!« Er bog ihr den Kopf nach hinten. »Sag, daß du nicht eifersüchtig bist, sag es!«
Tränen liefen ihr ins Gesicht. »Ich bin nicht eifersüchtig«, hauchte sie.
»Du wirst jetzt zurückgehen, ja?«
»Ja.«
»Und mir zuliebe nett sein zu ihr, hörst du?«
Sie hörte die Erregung aus seiner Stimme heraus. Er hatte sie schon halb ausgezogen.
Seine Hände berührten ihre nackte Haut. Sie hörte auf zu denken. Sie schlang die Arme um ihn. »Komm«, sagte sie und zog ihn in den Wagen. Sie weinte und war zugleich glücklich. Und sie dachte: Er gehört mir, mir, nur mir. Das andere zählt nicht.
»Wirst du nett zu ihr sein?« wiederholte er seine Frage.
»Ja«, versprach sie.
Das Signallämpchen auf Dr. Normanns Schreibtisch leuchtete auf. Der Psychiater drückte die Sprechtaste.
»Frau Helmer«, hörte er die Stimme der Sprechstundenhilfe. »Mit einem Blumenstrauß!«
»Ich lasse bitten.«
Er öffnete die Tür, ging Stephi Helmer ein paar Schritte entgegen. Sie sah sehr süß aus, gar nicht mehr nach Kumpel. Sie war eine Frau geworden, in wenigen Monaten.
Das Leuchten in Stephis Augen erstaunte Normann immer wieder. Die Verwandlung. Das Wunder, wie aus einem verklemmten, unglücklichen Wesen plötzlich eine selbstbewußte junge Frau geworden war.
»Guten Tag, Frau Helmer.«
»Guten Tag, Herr Doktor! Sie sagen nicht mehr Stephi zu mir?«
Er lachte ein bißchen. »Wissen Sie, ich habe den Verdacht, ich verliere Sie als Patientin. Wenn die Blumen kommen …«
Sie zwinkerte mit den Augen; man hätte beinahe sagen können: Sie flirtete mit ihm. Das schönste Zeichen des ärztlichen Erfolgs. Der Psychiater konnte zufrieden sein.
Stephi ließ es sich nicht nehmen, die Blumen selbst in eine Vase zu tun und sie auf den Schreibtisch zu stellen. »Darf ich Ihnen meinen Traum erzählen?« fragte sie, nachdem sie ihm gegenüber Platz genommen hatte.
»Ja.«
»Ein Fluß«, begann sie, »so breit wie die Donau bei Passau ungefähr. Ich stand am Ufer, kein Mensch weit und breit – doch, drüben am anderen Ufer, da sah ich meinen Mann. Weit weg, ein Punkt nur.«
Sie überlegte, ehe sie fortfuhr: »Ich habe meine Kleider im Gebüsch versteckt, es waren Haselnußstauden, ich hab's deutlich gesehen. Ein paar Sekunden habe ich gezögert, aber dann bin ich plötzlich losgeschwommen.« Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf. »Dabei kann ich gar nicht schwimmen!«
»Aber im Traum konnten Sie es?«
»Ja. Und es war ganz wunderbar. Drüben hat mich Martin, naß und triefend wie ich war, in seine Arme genommen, und wir haben gelacht.« Sie schwieg, blickte plötzlich verlegen auf ihre Fußspitzen.
Normann half ihr
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