Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
war blaß und angestrengt. »Was habe ich für eine Nachtseite?«
Er sah sie an. »Sie wollen kein Kind, Laura. Um keinen Preis. Das ist es.«
»Aber das stimmt doch nicht!« rief Stephi Helmer. »Sie war schon oft beim Arzt, sie möchte doch eines, sie hat sich doch die ganze Zeit eines gewünscht!«
»Vielleicht. Aber das, was aus ihrem Unterbewußtsein kommt, ist viel stärker als ihre Wünsche. Es ist eine schreckliche, panische Angst vor dem Gebären, vor Schmerzen und Blut.«
Laura hob verstört den Kopf. »Woher wollen Sie das wissen, Doktor? Ich habe keine Angst, ich weiß es genau.«
Er wischte ihre Entgegnung mit einer kleinen Handbewegung weg, wie jemand, der seiner Sache völlig sicher ist. »Stellen Sie sich ein junges Mädchen vor«, wandte er sich an die Runde. »Ein sehr junges Mädchen in der Pubertät. Eines Tages kommt es nach Hause. Die Mutter liegt oben im Bett. ›Laura‹, ruft sie, ›Laura, schnell!‹ Und als das Mädchen hinaufstürzt, sieht sie die Mutter in einer Blutlache liegen, sieht ihr totenblasses Gesicht, und auf dem Leintuch mitten in dem Blut den toten Körper eines Fünfmonatskindes.«
Die vier Frauen starrten ihn an.
»Das junge Mädchen rennt zum Arzt, sitzt neben der Mutter, als der Krankenwagen sie in die Klinik fährt. Das einzige, was sie die ganze Zeit denkt, ist: Muß sie jetzt sterben? – Sie liebt ihre Mutter über alles. Und während die Mutter operiert wird, bekommt das Mädchen ein schweres Nervenfieber.«
Lauras Lippen zitterten. »Wer hat Ihnen das alles gesagt?«
»Ihr Hausarzt, Laura. Ich habe ihn besucht. Und zum Glück hat er sich nicht nur an Ihre Masern und Ihren Keuchhusten erinnert, sondern auch an das, was damals mit Ihrer Mutter geschah. An die Stunden, in denen in Ihnen die Todesangst geboren wurde, ohne daß Sie es wußten.« Er schwieg einige Sekunden, sagte dann: »Hätten Sie einen Mann geheiratet, Laura, der kein Kind will, dann wären Sie nie frigid gewesen. Es war aber der Wunsch Ihres Mannes, den Sie ihm erfüllen wollten und gegen den sich Ihr Innerstes sperrte – so stark sperrte, daß sich nicht nur Ihre Seele gegen die Liebe wehrte, sondern auch Ihr Körper. Kein Arzt, Laura, hat eine organische Ursache für Ihre Sterilität gefunden. Es gibt auch keine organische Ursache. Nur eine seelische.«
»Daß es so kompliziert ist, eine Frau zu sein«, murmelte Helga.
»Angst vor dem Kind«, erklärte Dr. Normann, »ist einer der häufigsten Gründe für die Frigidität. In Lauras Fall war sie besonders tief verborgen, und deshalb war es schwer dahinterzukommen.«
Es war Stephis nüchterne Stimme, die als erste das Schweigen brach: »Und wenn sie die Pille nimmt?«
»Ich würde empfehlen, sie tatsächlich eine gewisse Zeitlang zu nehmen«, antwortete Normann ruhig. »Angst ist nur so lange unbesiegbar, solange man sie nicht kennt, sich ihr nicht entgegenstellen kann. Nun wissen Sie es, Laura. Sie werden die Angst überwinden, ganz ohne Zweifel. Und wenn Sie sich dann ein Kind wünschen, dann werden Sie auch eines bekommen.«
Laura legte die Hände vor das Gesicht. »Mein Gott«, flüsterte sie, »es ist doch so lange her!«
Mit einer beinahe zärtlichen Gebärde umfaßte Helga Anderssen ihre Schultern. »Weißt du, wir haben alle eine lange Vergangenheit, wir vier …«
Als sie gingen, griff Laura nach Normanns Hand. Wortlos. War nicht auch das, was sie mit ihm verbunden hatte, schon lange, lange her?
Als letzte verabschiedete sich Ellen Diekenhorst. Unter der Tür zögerte sie ein paar Sekunden.
Es fiel Dr. Normann plötzlich auf, daß Ellen den ganzen Abend kein Wort gesagt hatte. Und daß sie noch einen Schein blasser war als sonst.
»Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, Ellen?«
Ihre Augen waren unruhig. »Nein …«
»Alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung«, antwortete sie rasch und lief den andern nach.
Seit Tagen beschäftigte Konsul Rudolf Diekenhorst ein ganz bestimmter Gedanke. Heute versuche ich es mal, dachte er plötzlich und fuhr hinter der Isarbrücke nicht geradeaus, sondern bog nach rechts ab.
Edith Lieven, die mit übereinandergeschlagenen Beinen neben ihm im Wagen saß, fragte etwas überrascht: »Wohin fährst du denn?«
»Zu mir nach Hause«, antwortete er, ohne seinen Blick von der Fahrbahn zu wenden.
»Ist deine Frau nicht da?«
»Doch«, sagte er kalt. »Das heißt, sie wird kommen. Im Augenblick dürfte sie noch bei ihrem Psychiater sein.«
»Deine Frau weiß, daß ich deine Geliebte bin. Du
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