Zum Glück Pauline - Roman
während meine Frau neben mir lag und schlief, die Gesichter von Patrick Roys Eltern genau vor mir.
* Geboren 1952 in Niort, am 18. Februar 1993 in Villejuif an Knochenmarkkrebs gestorben.
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Intensität der Schmerzen: 8
Gemütslage: in Gedanken schon mein Testament schreibend
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Auch am darauffolgenden Morgen sagte ich Élise nicht, wie schlecht es mir ging. Sie schien auch gar nicht zu bemerken, dass ich furchtbar aussah. Dafür war sie umso überraschter, als ich verkündete:
«Ich ruf mal meine Eltern an.»
«Echt?»
«Ja, wenn es dir nichts ausmacht, lad ich sie für heute Abend zum Essen ein.»
«…»
«Passt dir das?»
«Bist du dir sicher, dass da bei dir nicht ne Schraube locker ist?»
«Keine Sorge … ich dachte mir bloß, vielleicht würden sie sich freuen, mal das Haus zu sehen … und den Garten …»
Anhand von Élises Reaktion konnte ich ermessen, wie tief die Kluft zwischen mir und meinen Eltern war. Der Vorschlag, sie einzuladen, erschien ihr vollkommen abwegig. Ich kam sonst lieber zu ihnen. Dann konnte ich nämlich auch wieder gehen, wenn ich wollte. Das war die goldene Regel, die galt. Meine Eltern einzuladen, hieß, ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen: Meine Mutter fing nämlich leicht an, überall herumzuschnüffeln und ihre Nase hineinzustecken. Aber wir trafen uns ja nicht so oft. Nur zu den Geburts- und hohen Feiertagen im Allgemeinen. Und wir strebten auch gar nicht an, von unseren Gewohnheiten abzurücken. Das heißt, es war durchaus verwunderlich, wenn ich meine Eltern einfach so, ohne die Aussicht auf irgendeinen Geburtstag, zum Essen einlud. Meine Frau fügte hinzu:
«Das wird sicher kein gutes Ende nehmen.»
«Wieso? Du solltest mir den Rücken stärken, wenn ich schon mal einen Schritt auf sie zu mache.»
«Ach, ich will zu der Sache mit deinen Eltern gar nichts mehr sagen … jedes Mal, wenn wir da hinfahren, regst du dich hinterher auf, so viel steht fest … und wenn sie jetzt auch noch hierherkommen … man wagt es sich ja gar nicht vorzustellen …»
«Aber ich hab Lust, sie zu sehen. So ist das nun mal.»
«Na gut, wunderbar. Sind ja schließlich deine Eltern …»
«…»
Sie hatte recht. Die Chancen, dass das Essen ein Erfolg werden würde, standen äußerst schlecht. Würde ich meinem Vater von meinem unmittelbar bevorstehenden Tod berichten,wäre er imstande, mir zu antworten: «Ach, jetzt hör mal auf, dich so wichtig zu machen.»
Ich ging kurz unter die Dusche, wo ich, vor den Blicken meiner Frau geschützt, meinem Elend endlich freien Lauf lassen und ein schmerzverzerrtes Gesicht machen konnte. Ich hielt den Strahl auf die betroffene Stelle und hoffte auf Linderung durch die Hydromassage. Fehlanzeige, die Schmerzen ließen nicht nach. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, betrachtete ich meinen Rücken im Spiegel. Aber da war nichts Auffälliges zu sehen. Das Drama spielte sich im Verborgenen ab, mein Körper schmiedete heimlich ein Komplott gegen mich. Langsam zog ich mein Hemd über und passte auf, dass der Stoff dabei nicht über die schmerzenden Partien strich. Das brannte nämlich. Als ich Anstalten machte, das Haus zu verlassen, fragte Élise:
«Willst du gar keinen Kaffee?»
«Nein, ich komm sonst zu spät. Ich hab eine wichtige Besprechung mit den Chinesen …»
«Ich dachte, es wären Japaner …»
«Genau, stimmt. Also, es gibt beide … es sind halb Chinesen, halb Japaner …»
«…»
«Ich glaube, es sind sogar zwei oder drei Koreaner dabei …»
Ich wartete ihre Antwort gar nicht mehr ab und machte mich auf den Weg. Sonst verstrickte ich mich noch tiefer in dieses asiatische Gewühl. Meine Frau trat ans Fenster, um mir zu winken. Ich sah sie von draußen. Das tat sie zumersten Mal. Sie bewegte leicht die Hand hin und her. Wahrscheinlich dachte sie sich: «Irgendwie tickt er heute nicht ganz richtig.» Und sie hatte recht. Ich tickte nicht ganz richtig. Ich gab mir Mühe, eine gute Figur zu machen, doch das Schiff drohte zu sinken. Ich hatte immer allen beweisen wollen, dass ich jeder Lage gewachsen war, aber allmählich brach ich einsam und allein, krank und gedemütigt zusammen. Ich versuchte, Élise anzulächeln, aber ich glaube, es gelang mir nicht so recht. Schließlich stieg ich ins Auto und war wieder einmal froh, dass mich keiner sehen konnte.
Komischerweise interpretierte ich die Geste meiner Frau eher als einen Akt der Zuwendung, aber nicht unbedingt der Liebe. Das Bild ihrer Hand ließ mich auf dem Weg ins
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