Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Krankenhaus nicht mehr los. Ich sah in ihrer Geste so etwas wie den Abschiedsgruß an einen Fremden, der das Haus verlässt. Eine nette Geste, aber auch irgendwie mechanisch, nicht sehr überschwänglich. Je länger ich darüber nachdachte, desto fremder wurde mir ihre Geste. Ich ließ die Szene immer wieder Revue passieren, wie meine Frau den Vorhang zur Seite schob, die Hand auf die Scheibe legte und sie dann ein paar Mal langsam hin und her schwenkte. Ich erkannte meine Frau darin überhaupt nicht wieder. Es ist vielleicht schwer zu erklären, aber das war einfach nicht sie. Manchmal stürzt man mir nichts, dir nichts in die Abgründe unterschiedlicher Gefühlswelten. Die alte Wahrheit tritt ab und weicht einer neuen.

18
    Intensität der Schmerzen: 8

Gemütslage: schizophren

19
    Den dritten Morgen in Folge fand ich mich im Wartesaal des Krankenhauses wieder. Wie ein Schüler, der die Klasse wiederholen muss, verspürte ich den Drang, beruhigend auf die Neuen einzuwirken: «Keine Bange, wir werden hier gut behandelt.» Wie ein richtiger Leidensveteran kam ich mir vor. Ich hatte davon abgesehen, im Internet irgendwelche Informationen über Kernspintomographien zu suchen. Ich wollte mich von den Berichten über Krebsdiagnosen nicht traumatisieren lassen. In diesen Medizin-Foren konnte man in wenigen Minuten sämtliche Szenarien einer möglichen Katastrophe durchspielen. Niemand hinterließ einen Kommentar, um zu vermelden, dass alles prima gelaufen war und er sich bester Gesundheit erfreute. Alle breiteten ihre Klagen aus, als hätte das Internet keinen anderen Sinn, als sein Leid auszuschütten. Man machte ein Foto vom eigenen Geschwürund schilderte in allen Einzelheiten seine Qualen. Dabei sollte man die Sache doch lieber dazu nutzen, sich im Unglück zu vereinen und sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Die Idee des Internets war so ziemlich das Gegenteil von dem, was es hervorgebracht hat. Ich war mit meinen Gedanken an diesem Punkt angelangt, als draußen im Flur jemand einige laute Schreie ausstieß. Es folgte ein länger andauerndes Röcheln. Ich versuchte zu bestimmen, ob es sich um die Geräusche eines Mannes oder einer Frau handelte, bis weitere Schreie folgten, die immer unmenschlicher klangen. Alle drehten die Köpfe in die Richtung, aus der die Laute kamen. Ich stand auf, um nachzusehen. In der Ferne führten zwei Krankenpfleger eine Frau weg und verschwanden mit ihr hinter einer Tür. Ich werde über diese Frau nie mehr erfahren, als dass ich für einen kurzen Moment Zeuge ihres Leids gewesen war. Das Elend eines jeden Einzelnen bewegte mich schon tief genug, an solche Aufschreie musste ich mich erst noch gewöhnen. Ich wollte mich wieder hinsetzen, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Ich wurde aufgerufen. Ich ging in das Behandlungszimmer, und das Martyrium der Unbekannten machte dem meinem Platz.
    Es war derselbe Radiologe wie tags zuvor. Er führte wieder die gleichen Handgriffe aus, kopierte haargenau die mir schon bekannte Szene, die wie in eine Form gegossen schien. Ich hatte diese Routine in den Bewegungen schon früher bei Ärzten beobachtet. Die heimliche Macht des Immergleichen. Vielleicht war das ihre Art, beruhigend auf die Patienten einzuwirken. In den Händen eines Mannes, dessen Bewegungenkeinerlei täglichen Schwankungen unterworfen sind, kann einem eigentlich nichts passieren, meint man. Allerdings war ich leicht enttäuscht, als ich feststellte, dass die Assistentin fehlte. Wahrscheinlich musste sie ab und an in die Berufsschule und war nun meinem Leiden abtrünnig geworden.
    «Haben Sie immer noch Beschwerden?», fragte er mich.
    «Ja. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen.»
    «In welcher Position fühlen Sie sich am wohlsten?»
    «Im Stehen.»
    «Können Sie ganz normal laufen?»
    «Ja. Gehen ist noch das Angenehmste.»
    «Gut, dann schauen wir uns das mal an.»
    Es gab keine anderen Themen mehr als: meinen Rücken. Vielleicht hatte er die Nase voll gehabt, weil man ihn nie beachtete und wollte sich daher mal energisch zu Wort melden. Ich bin auch noch da, wollte er mir zurufen, das war eben seine Art, auf die Barrikaden zu steigen. Bei manchen Fragen war ich mir nicht sicher. Hatte ich immer noch Beschwerden? Bei bestimmten Bewegungen? War es beim Gehen besser? Hoffentlich waren meine Antworten auch alle richtig. Ich meine: Hoffentlich lockte ich mit meinen Auskünften den Arzt auf keine falsche Fährte. Fest stand: Ich hatte fast die ganze Zeit Schmerzen, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher