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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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konnte schwer einschätzen, wie stark sie gerade waren, wie hoch der Anteil meiner Einbildung und was der Standpunkt meiner Wirbel war. Ich zog mich aus und kam mir so verloren vor.
    Als ich in Unterhosen vor ihm stand, erkundigte sich der Arzt:
    «Haben Sie gar keinen Schlafanzug dabei?»
    «Öh, nein.»
    «Hat Ihnen meine Assistentin nichts gesagt?»
    «Nein, glaube nicht.»
    «Äh … also, die Untersuchung dauert eine gute halbe Stunde … und Sie liegen da auf einer kalten Unterlage. Damit die Patienten es bequem haben, sage ich immer, sie sollen einen Schlafanzug mitbringen.»
    «…»
    «Aber ich kann Ihnen auch einen zur Verfügung stellen, wir haben welche da. Vielleicht suchen Sie sich einen aus.»
    Er zeigte auf einen Weidenkorb, in dem ich nach meinem Glück Ausschau halten durfte. Da lagen sie, die Überlebenden einer Textilkatastrophe. Das Ganze kam mir immer absurder vor. Kernspintomographie im gestreiften Pyjama kam natürlich nicht in die Tüte! Aber stammten diese Schlafanzüge von Menschen, die hier im Krankenhaus gestorben waren? Angesichts der Ungeduld des Spezialisten bemühte ich mich, schnell eine Wahl zu treffen. Ich entschied mich für das geringste Übel: einen blassblauen Pyjama, also das Blau war wirklich sehr blass. Es ging ein bisschen ins Weiße über. Ich legte mich auf den Tisch. Die Unterlage war tatsächlich sehr kalt, ich erkannte die Nützlichkeit des Pyjamas. Die Medizin machte unaufhaltsame Fortschritte, jedoch nicht in Sachen Komfort. Auf dem Rücken liegend, glitt ich nun langsam in eine offene Röhrehinein. Ich hatte lange kein so unheimliches Gefühl gehabt. Das war wie in einem Fahrstuhl oder in einem Flugzeug und zugleich wie im Mutterleib.
    «Es geht los. Denken Sie daran, ich kann Sie hören, Sie können mit mir sprechen … wenn es irgendwelche Probleme gibt.»
    «Wenn es Probleme gibt?»
    «Ja … also, ich will bloß sagen … ich bin ja da.»
    Bei jedem Wort dieses Mannes hatte ich das Gefühl, er verheimlichte mir etwas. Er schien über Informationen zu verfügen, die er nicht preisgeben wollte. Das hatte ich schon gestern gemerkt, als er von diesem Fleck gesprochen hatte. Ich fragte mich, wie ich mir einen ganzen Tag und eine ganze Nacht noch Hoffnungen hatte machen können, wo doch alle Zeichen auf Rot standen.
    «Können Sie mich hören?»
    «Ja … ich glaub schon …»
    In Wirklichkeit hörte ich nicht viel. Die Maschine machte einen ohrenbetäubenden Lärm. Andere mochten sich von diesem Geräusch in den Schlaf wiegen lassen, ich nicht. Ich hatte schreckliche Angstzustände. Zwar gelang es mir wie durch ein Wunder, mich ein bisschen zu beruhigen und normal zu atmen, doch nur vorübergehend. Dann kam die nächste Panikattacke. Welch eine Achterbahnfahrt, diese manische Depression machte mich fertig. Hat man solche Stimmungsumschwünge, wenn man krank ist? Ich glaube, die meisten Kranken fühlen sich vor allem alleingelassen. Ob sie nun jemand begleitet oder nicht, sie sind dem eigenenElend ausgesetzt, und ihre Wahrnehmung beschränkt sich auf den eigenen Körper. Ich dachte an die Worte von Albert Cohen: «Alle Menschen sind einsam, keiner schert sich einen Dreck um die anderen, und unser Leid ist eine einsame Insel.» Ich kannte nicht viele Zitate, aber dieses hatte sich mir so tief eingeprägt, dass es mir jetzt, da es so treffend meine Situation widerspiegelte, in all seiner schockierenden Wahrheit wieder einfiel. Die Kernspinuntersuchung schritt voran, und um mich herum war nichts mehr zu erkennen. Das Gefühl der eigenen Jämmerlichkeit, das der Schlafanzug mir eingab, war kaum zu überbieten. Ich trug das Kleid der Sträflinge, Sklaven und anderweitig Entmenschlichten. Das ganze Leben, das ich mir aufgebaut hatte, kippte ins Lächerliche. Was hatte ich mir angemaßt? Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde kehren wir zurück, das hatte ich wohl vergessen. Endlich wurde mir klar, dass ich ein Nichts war; und in dieser Gewissheit allein war.
    «Oh nein, das darf doch nicht wahr sein», seufzte der Arzt.
    «Wie bitte?»
    «…»
    «Können Sie mir bitte sagen, was los ist?»
    «Ich hab ein kleines Problem.»
    «Ein Problem?»
    «Ja, genau … ach, dass das ausgerechnet mir passieren muss.»
    Ich konnte mich nicht aufrichten, wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Der Doktor erschien, sichtlich genervt. Seine unveränderliche Miene hatte sich verändert.
    «Das tut mir leid. So etwas kommt sonst eigentlich nie vor.»
    «…»
    «Ein Fehler im System.

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