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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gespielt hatten, wie ich ihm Geschichten vorlas, wie ich ihm bei den Hausaufgaben geholfen hatte, und mir war zum Heulen zumute, wenn ich daran dachte, dass das nun alles vorbei war. Das mag der Lauf des Lebens sein. Aber man musste es mir nachsehen, wenn ich ein bisschen nostalgisch wurde, schließlich lauerte schon der Tod auf mich. Ich wusste nicht mal, was mein Sohn heute gemacht hatte, auch nicht, was er gestern oder vorgestern gemacht hatte. Die Kinder waren wie der Roman, den ich aufgehört hatte zu schreiben.
    Meine Tochter war meine Prinzessin, der Spleen meines kleinen Königreichs. Daran hatte sich auch nichts geändert. Wir telefonierten oft miteinander, schickten uns SMS, manchmal sagte sie sogar noch «mein lieber Papa» zu mir. Aber es war nicht mehr wie früher, seitdem sie mit diesem Michel zusammengezogen war. Jetzt ging auch noch dieser Name in meinem Kopf um. Ich lag hier im Sterben und musste mir die Fratze dieses Namens mit ansehen. Unfassbar, dass er ausgerechnet Michel hieß. So hießen meine Arbeitskollegen. Meine Tochter konnte doch nicht mit einem Mann zusammenleben, der so hieß wie all meine Arbeitskollegen.
    «Ist doch schnuppe, wie er heißt!», meinte meine Frau.
    «Nein, das ist mir ganz und gar nicht schnuppe!»
    «Du bist ein Kleingeist. So hab ich dich ja noch nie erlebt. Deine Tochter ist erwachsen geworden, das musst du akzeptieren.»
    «Ich akzeptiere es ja.»
    «Nein, du regst dich über diesen Namen auf, aber das ist nur eine Finte. Der Name ist nämlich der Schlüssel zu einem Menschen!»
    «Der Schlüssel zu einem Menschen …»
    «Genau! Und du weigerst dich, mit dem Schlüssel die Tür aufzumachen!»
    Sie hatte nicht ganz unrecht. Aber ich hatte meine Gründe, das musste man auch verstehen. Man hatte mir keine Zeit gelassen, mich an die Sache zu gewöhnen. Das war alles viel zu schnell gegangen. Man braucht mindestens ein paar Monate, wenn es schon keine Jahrhunderte sein dürfen, um sich mit dem Gedanken abzufinden, dass die eigene Tochter von zu Hause ausziehen will. Das heißt, wenn es sich um eine Tochter wie die meine handelt. Ich war mit dieser Verbindung nicht einverstanden, und ich wusste, dass das Problem bei mir lag. Aber ich konnte nichts dagegen tun, auch wenn ich unter dem Konflikt litt. Unsere Beziehung, die mir immer so eng, um nicht zu sagen unverwüstlich erschienen war, kam mir mit einem Mal so zerbrechlich vor. Es blieb am Ende nicht viel übrig. Da steckte man so viel Energie in die Erziehung, und ich fragte mich, warum eigentlich? Alles, was mich am Leben hielt, löste sich nach und nach in nichts auf.
    Der Abschied der Kinder von zu Hause hatte mir die Nichtigkeit meines Daseins vor Augen geführt. Sie hatten nun ihr eigenes Leben, und ich war mir nicht sicher, ob ich in ihnen weiterlebte. Was hatte ich ihnen mit auf den Weg gegeben?Nichts. Keine einzige Sache, die ich hätte nennen können. Ich überlegte ein paar Minuten, bis mir doch etwas einfiel: Ich habe ihnen beigebracht, sich für andere Menschen zu interessieren. Ich sagte immer wieder: «Ihr müsst euch für eure Mitmenschen interessieren.» Na bitte, das war doch schon mal was. Aber ich, interessierte ich mich für meine Mitmenschen? Immer weniger. Wie sinnlos, Regeln und Gebote zu vermitteln, die für einen selbst gar nicht galten. Was sonst noch? Die Lust am Lesen? Ich las überhaupt nicht mehr. Respekt vor älteren Menschen? Meine Eltern waren unerträglich. Also was dann? Was hielten sie eigentlich von mir, von den Dingen, auf die ich Wert legte, wie fanden sie mich als Vater? Meine Gedanken versanken im Nichts. Im Grunde würde mein Tod nicht groß in ihr Geschick eingreifen. Der Schlafmangel verdüsterte sicherlich meine Sicht, aber das Eigentliche trat dennoch deutlich zutage. Ich ließ nichts zurück. Die Filzpantoffeln, in denen ich durchs Leben geschlurft war, hinterließen keinerlei Spuren.
    Ich dachte an all die Künstler, die, obwohl sie jung gestorben sind, mit ihrem Werk die Welt verändert haben. Franz Schubert mit 31. Wolfgang Amadeus Mozart mit 35. Und fangen wir erst gar nicht mit John Lennon an. Ich hätte die ganze Nacht damit verbringen können, weitere Künstler aufzuzählen; für die erwähnenswerten Bauten, an denen ich beteiligt war, reichten dagegen fünf Minuten locker aus. Das Lamartine-Hochhaus in Créteil. Das Jacques-Prévert-Museum in Tours. Die Romain-Gary-Schule in Nizza … Aber es war wohl besser, nicht an die Arbeit zu denken. Was blieb dannnoch? Die

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