Zum Glück Pauline - Roman
möchte. Unser Büro hatte nach beherztem Kampf den Zuschlag erhalten, und ich hatte monatelang hart gearbeitet. Alles lief wie am Schnürchen, bis zu dem Tag, an dem sich herausstellte, dass ein Teil des Gebäudes auf einem Grundstück stand, auf das ein steinreicher Amerikaner Anspruch erhob. Dieser Mann ging auf keinen unserer Vorschläge ein und blockierte den Fall. Unsere juristische Abteilung hatte einen fatalen Fehler begangen. Die ganze Arbeit, alles für die Katz. Es war total frustrierend, aber auch irgendwie lächerlich. Aber so war es eben, nichts zu machen, es ging nicht mehr weiter. Im Büro war dieser Reinfall schon bald kein Thema mehr. Nur ich musste die Akte immer wieder durchkauen, dank meines Vaters, der mich immer wieder daran erinnerte:
«Hast du was Neues gehört von diesem Amerikaner?»
«Nein.»
«Ach, das ist schon scheiße. Das hätten sie mal vorher klären sollen, bevor sie sich in so ein Projekt stürzen …»
«Ich weiß. Hast du schon gesagt.»
«Ganz schön unprofessionell …»
Mein Vater war der Archivar meiner Pleiten. Es war immer dieselbe Leier. Meine Frau und meine Tochter sahen sich an, und ihre Blicke sagten mehr, als Worte hätten sagen können. Es wiederholte sich die immer gleiche Szene, die Blicke bedurften keiner Deutung. Natürlich bezogen Élise und Alice mich in das Spiel mit ein, und wir konnten über das Ganze auch lachen. Aber konnten wir das noch? Élise schien es satt zu haben, dass mein Vater routinemäßig alles schlechtreden musste. Ja, das Maß ihres Überdrusses wirkte an diesem Abend voller als sonst. Man spricht ja oft von dem Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Und dieser Tropfen kann auch die Form eines leicht veränderten Gesichtsausdrucks annehmen. Es war bestimmt eine Kleinigkeit, die an diesem Abend das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Das Gutmütige und Komplizenhafte in Élises Blick war einer beißenden Verachtung gewichen. Konnte das sein? Als seien die gegensätzlichsten Gefühlswelten nur durch einen Wimpernschlag voneinander getrennt. Man glitt so leicht von einer Welt in die andere hinüber. Es war das zweite Mal, dass ich dieses Gefühl hatte, nachdem sie mir
zum Abschied gewunken
hatte.
Über die Geschmacklosigkeiten und Gehässigkeiten meines Vaters wunderte ich mich schon lange nicht mehr. Ich wartete darauf, so wie ein Reisender auf seinen Zug wartet. Ichstand an unserem Beziehungsgleis und wusste, gleich würde die Bahn seiner mit negativen Energien gefüllten Fertig-Phrasen einfahren. In Wirklichkeit stimmt das so nicht ganz. Auch wenn ich immer vorbereitet war, war ich doch immer auch ein wenig überrascht. Unbewusst hoffte ich wohl, ganz das lächerliche kleine Kind, dass es diesmal anders sein würde. Man glaubt, die Dinge könnten sich ändern, doch die Gefühle der Eltern stehen fest wie Statuen. Auch meine Mutter blieb ihrer Rolle treu. Wie gewöhnlich bemühte sie sich, die Wogen zu glätten:
«Der Couscous schmeckt fabelhaft …»
«Danke. Ich fand die Idee recht praktisch.»
«Stimmt, schmeckt gut», schloss sich Alice an, und machte dann diesen Vorschlag, auf den niemand etwas zu erwidern wagte: «Das sollten wir öfters machen.»
Wie viele Familien, die nicht so oft zusammen an einem Tisch sitzen, kamen wir auf die Welt im Allgemeinen und Politik im Besonderen zu sprechen. Politik war der Stoff, den es eigentlich zu vermeiden galt, doch mein Vater bestand darauf, uns das finstere Angstszenario einer Welt ohne Zukunft auszumalen. Meine Tochter fiel ihm lustig ins Wort, was ihn zu erheitern schien. Er verzieh seiner Enkeltochter alles, selbst die Frechheiten. Auch meine Mutter fiel ihm ins Wort, aber um vom Thema abzulenken. Sie berichtete von den Reiseplänen, die sie gemeinsam schmiedeten: eine Mittelmeerkreuzfahrt.
«Na ja, wir sind ein bisschen ins Grübeln gekommen … nach all den Unfällen …», sagte mein Vater.
«So viele Unfälle gibt’s nun auch wieder nicht», warf meine Frau ein, immer bemüht, meinen Vater zu besänftigen.
«Habt ihr von diesem Arschloch gehört, das einfach von Bord gegangen ist und die Leute verrecken lassen hat? So was ist widerlich, also echt!»
Tja. Wir hätten uns darüber unterhalten können, wie wunderschön es auf Capri, an den kroatischen Stränden oder auf Stromboli ist, doch wir lauschten einem Monolog über einen schäbigen Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes, das vor der italienischen Küste auf einen Felsen aufgelaufen war. Ich fragte mich, warum ich
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